Lobeshymne aufs Zugfahren

Unbenanntes Projekt

14. Mai 2025

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Das wohlige Gefühl, wenn man langsam losrollt und man durch das Fenster die vorbeiziehenden Häuser und Wiesen beobachten kann, gibt es nur im Zug. Denn nirgendwo ist es so entspannt, wie in der Eisenbahn. Die Tiefenentspannung rührt nicht nur von der vorbeiziehenden Landschaft, die Bahn ist auch sicher. In der Schweiz sogar das sicherste Verkehrsmittel im Land, was ein Bericht des Bundes aus 2023 wieder einmal bestätigte. Dazu kann man es sich richtig gemütlich machen, weil man weder Wegbeschreibungen geben noch die wild fuchtelnden Händen seines Beifahrers zu deuten versuchen muss. Weder Flugscham noch Mücken in Mund und Augen können einem die Reise verderben. Dabei kann man tagträumend aus dem Fenster schauen, sich an den Wundern der Natur erfreuen oder das Mittelland an sich vorbeiziehen lassen und in einem Buch versinken.

Und wo gibt es bessere spontane Schicksalsgemeinschaften als im Zug? Denn hier trifft junge Naivität auf Altersschwäche, hier trifft Partygängerin auf Bücherwurm, Arbeitnehmer auf Chefin, Familie auf Fussballequipe. Und nichts verbindet mehr als eine ordentliche Verspätung. Wenn der Zug langsam zum Stillstand kommt und sich die Köpfe von den Smartphones heben und unsichere Blicke ausgetauscht werden, wurde schon manche Freund*innenschaft geschlossen.

Du willst also mal aus deiner Uni-Bubble raus – ab in den Zug. Denn, ob es nun eine dreistündige Unterhaltung mit einem älteren Herrn über seine wilden Jahre als Bandmitglied oder seine Enkelkinder ist, ein kurzes Gespräch über die Bürde vergessener Ladekabel inklusive Ausleihen des Kabels oder eine Runde UNO mit den Zugabteilsnachbar:innen – es ermöglicht einem, für kurze Zeit in die Lebensrealität von jemand anderem einzutauchen und verbindet ungemein.
Hinzu kommt: Nirgendwo hat man so viel Beinfreiheit wie beim Zugfahren – nicht, dass ich es nötig hätte, ich habe selbst in einem Smart noch grosszügig Platz für meine etwas zu kurz geratenen Haxen –, aber bekanntlich gibt es Menschen mit längeren Oberschenkelknochen als die meinen.

Wenn der Zug dann in den Bahnhof einfährt und man sich beim Aufstehen noch einen schönen Tag wünscht, weder Name noch Ziel der Reise seines Gegenübers kennt, jedoch genau weiss, was die Grosskinder studieren und welches die schwache Hand beim «drischüsse» ist, bleibt das warme Gefühl übrig, nicht allein auf dieser Welt zu sein. Und dass wir doch irgendwie alle etwas gemeinsam haben und hierher gehören.

 

Text: Mara Schaffner
Bilder: Pierina Westermann

 

Quelle: https://www.bav.admin.ch/bav/de/home/publikationen/berichte/sicherheit.html

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