Gegen Windmühlen kämpfen

In Storheia wurden 80 Windturbinen gebaut auf einer Fläche fast so gross wie die Stadt Bern.

03. März 2021

Von und

Schweizer Energieunternehmen investieren stark in Windenergie im Ausland. Zum Beispiel in Norwegen. Doch Windparks treffen dort zunehmend auf Widerstand.

Die schmale Strasse, auf der wir fahren, ist neu. Sie wurde vor rund drei Jahren gebaut, um den Storheia Windpark mit der Hauptstrasse zu verbinden. Es geht bergauf, links und rechts der Strasse ist Wald. Als wir kurz darauf eine Anhöhe erreichen, tauchen vor uns ein Servicegebäude samt Parkplatz und eine Trafostation mit mehreren Hochspannungsleitungen auf. Dahinter sehe ich die ersten Windturbinen. Mit ihrem Rotordurchmesser von 117 Metern wirken sie riesig. In der folgenden Stunde führt mich Rentierzüchter John über das Areal. Dabei wird mir klar: Ein Windpark besteht aus mehr als nur lose verteilten Turbinen. So wurde für die Errichtung und Wartung der Turbinen ein 60 Kilometer langes Strassennetz gebaut – an einem Ort, an dem zuvor nur Rentiere umhergezogen waren. Nun stehen hier 80 Windturbinen, verteilt auf einer Fläche von nahezu der Grösse der Stadt Bern.

Manche kritisieren den Ausbau der Windenergie in Norwegen als neue Form des Kolonialismus.

Für Rentierzüchter John ist es ein trauriger Anblick. Zusammen mit anderen hat er sich von Anfang an gegen den Windpark gewehrt – wegen eben jenen Rentieren, die das Gebiet nun tatsächlich grossflächig meiden. Rentierzucht steht als kulturelle Tradition der samischen Bevölkerung zwar unter besonderem Schutz, trotzdem konnten die indigenen Rentierzüchter*innen das Projekt nicht verhindern. Hauptgrund dafür war, dass sie ihre Weiden nicht besitzen, sondern nur über Nutzungsrechte verfügen. Das geht auf die sogenannte Norwegisierungspolitik im 19. und 20. Jahrhundert zurück, welche Ackerbau und Industrialisierung auf Kosten der Rentierzucht vorantrieb. Da Windparks nun ebenfalls häufig auf Rentierweiden gebaut werden, kritisieren manche den Ausbau der Windenergie in Norwegen als neue Form des Kolonialismus – dieses Mal im Namen der Energiewende.

Geld aus der Schweiz

Finanziert wird der Storheia Windpark unter anderem von der BKW. Seit 2016 hält die bernische Energieversorgerin rund elf Prozent an Fosen Vind, einem internationalen Konsortium, das für den Bau mehrerer Windparks in Mittelnorwegen verantwortlich ist. Hauptbeteiligt am Konsortium ist die staatliche norwegische Energiefirma Statkraft. Dass Schweizer Energieunternehmen wie die BKW in Energieprojekte im Ausland investieren, ist nicht grundsätzlich neu, betont Patrick Hofstetter. Er leitet die Fachgruppe Klima und Energie beim WWF Schweiz. Ihm zufolge investierten zahlreiche Firmen bis vor wenigen Jahren stark in AKWs, Kohle- und Gaskraftwerke im nahen Ausland. Doch während Finanzinstitute wie die Credit Suisse und die UBS dies heute noch tun, beteiligt sich die BKW mittlerweile nur noch an wenigen nicht-erneuerbaren Energieprojekten. Die einzigen Ausnahmen sind ihre Anteile am Kohlekraftwerk Wilhelmshaven in Norddeutschland, an zwei Gaskombikraftwerken in Italien und am schweizerischen AKW Leibstadt.

Die BKW ist an 29 Windparks beteiligt – fast ausschliesslich im Auslad. Darunter zehn in Süditalien.

Stattdessen suchen die Energieversorgungsunternehmen nach grüneren Investitionsmöglichkeiten und finden sie in erneuerbaren Energieprojekten im Ausland. Gerade in den letzten vier Jahren haben Schweizer Unternehmen wie die bernische BKW, die aargauische Axpo oder die zürcherische EWZ deutlich mehr in erneuerbare Energien im Ausland investiert als in der Schweiz. Das belegt eine Studie von Energie Zukunft Schweiz, einer Beratungsfirma zur Energiewende.

«Zur Energiewende in der Schweiz tragen diese Projekte nicht bei.»

Doch wieso machen die Schweizer Unternehmen das? Auf Anfrage schreibt die BKW, dass sie ein «ausgewogenes Portfolio» anstrebe. Für den WWF-Energieexperten Hofstetter heisst das: «Für die Firmen ist es in erster Linie eine Möglichkeit, ihr Geld langfristig anzulegen». Dabei wird teilweise auch argumentiert, dass diese Projekte einen direkten Beitrag zur Energiewende in der Schweiz leisten, insbesondere wenn sie in den Nachbarländern Deutschland, Italien und Frankreich angesiedelt sind. «Das stimmt aber nicht», sagt Felix Nipkow von der Schweizerischen Energiestiftung Schweiz (SES). Denn: «Um den Strom in die Schweiz zu transportieren – beispielsweise von Windparks in Norddeutschland – sind zu wenig Leitungen vorhanden. Der Schweiz fehlen auch Abkommen mit der EU, die sie stärker ins europäische Netz integrieren würden».

Andere Länder, andere Gesetze

Schaut man sich die Entwicklung der einzelnen Windenergieprojekte im Ausland an, wird ein weiterer Grund ersichtlich, warum sich das Investment für die Schweizer Unternehmen lohnt: Sie kaufen auffallend oft pfannenfertige Projekte auf, so geschehen etwa beim Marker Windpark in Südnorwegen. Kurz vor Baubeginn übernahm die BKW die bewilligte Lizenz für den Windpark über ihre Tochterfirma Proxima vom lokalen Projektentwickler. Seither gehört ihr der kleine Windpark zu 100 Prozent. Anders als in der Schweiz trägt die BKW bei solchen Projekten somit nicht selbst das Risiko, über Jahre hinweg ein Projekt aufzugleisen, nur damit es dann am Widerstand der Bevölkerung scheitert. Das ist zwar ein alltägliches Vorgehen in der Unternehmenswelt, dürfte aber wesentlich dazu beitragen, warum die Schweizer Energieunternehmen überhaupt in so kurzer Zeit so stark in erneuerbare Energien im Ausland investieren konnten.

Indigene Rentierzüchter*innen protestieren 2019 mit dem Slogan «Lasst die Berge in Frieden!» zusammen mit Naturschützer*innen gegen den Storheia Windpark. (Foto: Ask Håkon Ebeltoft)

In Norwegen kommt der BKW zusätzlich die lokale Gesetzeslage zugute. So waren auch beim Storheia Windpark in Mittelnorwegen im Jahr 2016, als die BKW als Teilinvestorin ins Projekt einstieg, alle Konsultationsverfahren bereits abgeschlossen und die Baulizenz in zweiter Instanz bewilligt. Das Energieministerium hatte dabei argumentiert, dass die negativen Folgen des Windparks für die lokale Rentierzucht vertretbar seien. Die betroffene Gemeinschaft der Rentierzüchter*innen war damit aber nicht einverstanden, erklärt Rentierzüchter John auf unserer Tour durch den Windpark. Sie zog das Urteil weiter und klagte vor Gericht gegen den Windparkbesitzer Fosen Vind. Doch obwohl dieses Verfahren noch hängig war, startete Fosen Vind 2017 mit dem Bau des Windparks. Ermöglicht hat das die zuständige Behörde im Namen der Förderung von erneuerbarer Energie – ein Vorgehen, das in der Schweiz undenkbar wäre. So wurden beispielsweise die Beschwerden gegen den geplanten Windpark der BKW im jurassischen Tramelan ebenfalls in zwei Instanzen abgelehnt, wie die BKW schreibt. Dagegen wurde aber 2019 erneut Rekurs eingereicht, was das Projekt bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens blockieren dürfte. In Norwegen hingegen wird die Klage der Rentierzüchter*innen mittlerweile vom obersten Gericht behandelt, während in Storheia längst die Rotoren kreisen. Johns Frau Anne bezeichnete mir gegenüber den Widerstand der Züchter*innen gegen das Projekt deshalb nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinn als einen «Kampf gegen Windmühlen».

Der Widerstand wächst

Unterstützung erhalten die Rentierzüchter*innen zunehmend von Naturschützer*innen. In den letzten ein bis zwei Jahren erlebte der norwegische Ableger von Friends of the Earth einen starken Mitgliederzuwachs. Zudem wurden neue Organisationen gegründet, welche Windkraftanlagen an Land zu verhindern versuchen. Die bekannteste nennt sich passend Motvind, übersetzt: Gegenwind. Sie organisiert Protestaktionen und Konferenzen, schreibt Berichte und geht neuerdings auch gerichtlich gegen geplante Projekte vor. Die Zusammenarbeit mit Rentierzüchter*innen läuft dabei nicht immer konfliktfrei ab: Während die indigenen Züchter*innen ihren traditionell nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen betonen, kritisieren manche Naturschützer*innen ihren Gebrauch von Schneemobilen, Motorrädern und ab und zu Helikoptern, um die Tiere im weitläufigen Gebiet umherzutreiben. Von der Allianz zwischen Naturschützer*innen und Rentierzüchter*innen profitieren letztlich aber beide Seiten: Ersteren gibt die Zusammenarbeit mit Direktbetroffenen zusätzliche Legitimation, den Rentierzüchter*innen hilft die zusätzliche Aufmerksamkeit für ihr Anliegen.

In Zukunft dürfte es schwieriger sein, in norwegische Windparks zu investieren.

Tatsächlich zeigt eine repräsentative Umfrage der norwegischen Universität Bergen von 2020, dass der Anteil der Befürworter*innen von Onshore-Windkraftanlagen innerhalb von nur einem Jahr deutlich gesunken ist. Die Gegner*innen stören sich dabei auch an der Tatsache, dass zwei Drittel aller gebauter Windparks in Norwegen in ausländischem Besitz sind. Zum Vergleich: Die Stromversorgung in der Schweiz ist fast komplett in inländischem Besitz. Die norwegische Regierung reagiert bereits auf diesen Meinungsumschwung. Als Reaktion auf mehrere Tausend Einsprachen hat sie vor kurzem ihren Plan für weitere Windkraftanlagen zurückgezogen und strengere Bedingungen für die Vergabe von Lizenzen angekündigt. Gleichzeitig wird die Verbesserung der Rechte der indigenen Rentierzüchter*innen schon lange debattiert und zumindest teilweise umgesetzt.

Auch Leute, die beim Storheia Windpark federführend waren, haben scheinbar ihre Meinung geändert. So sagte in einem Zeitungsinterview von 2019 der Chef der lokalen Energiefirma, die rund acht Prozent am Windpark inne hat, es sei gut möglich, dass er heute anders über das Projekt entscheiden würde. Ausschlaggebend dafür ist, dass er sich in der Zwischenzeit den negativen Auswirkungen des Windparks auf die Rentierzüchter*innen und ihre Rentiere besser bewusst geworden sei. Auch die Bürgermeisterin der Gemeinde, wo der Windpark steht, sagte vergangenen März, sie wisse nicht mehr, ob sie persönlich für oder gegen Windkraftanlagen an Land sei.

Zukunft der Windenergie

Noch ist unklar, ob diese Zugeständnisse nur die Proteste besänftigen sollen oder tatsächlich langfristige Konsequenzen haben. Die Ereignisse der vergangenen Monate deuten aber zumindest darauf hin, dass es für Schweizer Energieunternehmen wie die BKW in Zukunft durchaus schwieriger sein dürfte, in norwegische Windparks zu investieren. Gleichzeitig treffen auch in anderen Ländern, in denen Schweizer Firmen bisher Investitionen getätigt hatten, Windkraftanlagen zunehmend auf Widerstand, allen voran in Deutschland. WWF-Energieexperte Hofstetter vermutet, dass aus diesem Grund gerade in Deutschland statt in Onshore- zunehmend in Offshore-Anlagen investiert wird. Diese sind zwar nach wie vor risikoreicher und kostenintensiver als Windkraftanlagen an Land, aber bisher eben auch weniger umstritten. Auch in Norwegen bestehen Pläne, mit dem Bau von Offshore-Anlagen zu beginnen. Sie scheinen vorerst nicht betroffen zu sein von den angekündigten Verschärfungen.

Die Klage der Rentierzüchter*innen wird vom obersten Gericht behandelt, während in Storheia längst die Rotoren kreisen.

Unattraktive Schweiz

Und was ist mit Windenergie in der Schweiz? Dass Unternehmen wie die BKW statt im Ausland in Zukunft vermehrt in Windenergie hierzulande investieren, halten sowohl Hofstetter als auch Nipkow – beides Vertreter von Umweltverbänden – für eher unwahrscheinlich. Suisse Eole zufolge, dem Schweizer Interessenverband für Windenergie, hätte es zwar auch in der Schweiz durchaus ausreichend Windressourcen. Allerdings stehen hierzulande momentan gerade einmal 42 Windturbinen. Das ist knapp die Hälfte von dem, was in Storheia in einem einzigen Windpark gebaut wurde. Obwohl der Bund in seiner Energiestrategie 2050 von einem Potential von 800-900 Turbinen spricht, scheint sich daran in naher Zukunft nichts zu ändern – zu klein ist die Anzahl möglicher Standorte, zu gross der lokale Widerstand, und zu lasch die politischen Bestrebungen, Windenergie stärker zu subventionieren.

Besichtigung des Storheia Windparks im Januar 2020 mit Rentierzüchter John.

Nipkow hofft zwar, dass sich das noch ändern wird. Dazu beitragen könnten partizipativere Ansätze, welche die Bevölkerung von Anfang an stärker einbinden und Einsprachen dadurch minimieren sollen. Viel Potential für Windenergie in der Schweiz sieht er dennoch nicht. Stattdessen erhofft er sich, dass es mit dem Ausbau der Photovoltaik endlich vorangeht. Gleichzeitig weist die Energiestiftung SES auf eine Notwendigkeit hin, die für Energieunternehmen am unrentabelsten und für uns alle am unbequemsten sein dürfte: Dass zur Energiewende nicht nur der Ersatz von fossilen Brennstoffen durch erneuerbare Energien gehört, sondern eine Reduktion des Verbrauchs unumgänglich ist. Das werden uns nicht nur die Rentiere in Norwegen danken.

 

Transparenzhinweis:
Dieser Artikel bezieht sich hauptsächlich auf Forschung, die ich im Rahmen meiner Masterarbeit getätigt habe, inklusive einer Feldforschung im Januar und Februar 2020. Zusätzlich führte ich im Januar 2021 Gespräche mit Patrick Hofstetter und Felix Nipkow und nahm mit der BKW Kontakt auf. Ebenfalls seit Januar 2021, und zuvor bereits im Jahr 2019, arbeite ich für die Gesellschaft für bedrohte Völker. Sie weist seit 2018 in einer Kampagne auf den umstrittenen Storheia Windpark hin und hat 2020 gegen die BKW ein Beschwerdeverfahren eröffnet, das bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht abgeschlossen war.

 

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