Vorweihnacht­liche Gedanken

In andächtiger Stimmung dem vorweihnachtlichen Konsumismus frönen: Die Pariser Galeries Lafayettes

06. Januar 2020

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Es glänzt wieder so schön in den Schaufenstern der Einkaufsstrassen. Dem Black Friday sei Dank, können sich fast alle die schimmernden Sachen in den Vitrinen leisten: Wir stürzen uns auf die Schnäppchen. Nachhaltig ist das nicht. Warum es dennoch so schwer ist, die Veränderung zu sein, die wir uns in der Welt wünschen. Und warum kein Weg daran vorbeiführt.

Auch ich liebe es zu shoppen, besonders auf Zalando. Dafür brauche ich nicht einmal Weihnachtsstimmung. Doch immer ist da auch dieser Gedanke, dass der Konsum für viele Probleme auf der Welt verantwortlich ist. Der Transport der Lieferung wird CO2 ausstossen und die vielen Kleider sind eine Verschwendung von Ressourcen. Und vielleicht wurden sie sogar unter schlimmen Arbeitsbedingungen hergestellt. Aber ich will mich nicht einschränken, sondern mein (kurzes) Leben geniessen. Wenn nur ich verzichte, macht das ohnehin keinen Unterschied. Und wieso ich und nicht die anderen? Es ist doch unfair, wenn ich die Einzige bin, die verzichtet. Ausserdem ist das alles gar nicht 100% bewiesen, Klimawandel und so und ich könnte mich umsonst einschränken. Das sagt zumindest so ein orangefarbiger Typ aus den USA. Also lege ich weitere Artikel in den Warenkorb.
Der Gedanke an den Konsum hat während der Weihnachtszeit irgendwie schon richtig Tradition. Das Motto: Ich kaufe, also bin ich. Ein europäischer Haushalt besitzt im Durchschnitt rund 10 000 Dinge, sagt jedenfalls die Statistik. Verzicht und Knappheit kennt unsere Generation nicht – zumindest nicht in meinem Umfeld. Keine Einkaufsmöglichkeiten am Sonntag und leere Regale im Supermarkt – das klingt für uns absurd. Wir in der Schweiz konsumieren, als gäbe es kein Morgen. Eigentlich kein Wunder, dass solch ein Verhalten negative Auswirkungen haben muss.

Keine Einkaufsmöglichkeiten am Sonntag und leere Regale im Supermarkt – das klingt für uns absurd.

Ich löse meinen Blick von Zalando und schaue aus dem Fenster. Alles ist schön grün und friedlich. Wo sind denn diese negativen Folgen? Es hat sogar Wolken am Himmel und die Temperaturen sind nicht wie von den Wissenschaftler*innen versprochen mediterran, sondern eher polar. Das Wasser aus der Leitung kann ich trinken, die Luft ist sauber. Ich sehe kein Problem und shoppe friedlich weiter. Aber da war doch irgendwas: Aus den Untiefen meines Gewissens dringen Informationen hoch, die ich vor noch nicht allzu langer Zeit dort vergraben habe: Die Schweiz hat ihre Umweltverschmutzung ins Ausland verlagert. Unglaubliche 70% des ökologischen Fussabdrucks der Schweiz fallen dort an, wie eine Untersuchung des Bundesamtes für Umwelt ergeben hat. Würden alle Menschen so leben, bräuchten wir drei Erden. Wir haben uns sogar schon ein eigenes Zeitalter gewidmet: Das Anthropozän nennen es findige Wissenschaftler*innen. Der Mensch ist jetzt der stärkste Treiber von geologischen und ökologischen Prozessen. Das heisst, wenn jemand in einer Million Jahren auf der Erde buddelt, dann findet er unseren Konsum als eigene Gesteinsschicht. Und zwar aus Plastik, Beton und radioaktivem Müll.
Ich klicke mich grummelnd zur Rubrik der nachhaltigen Kleider durch. Damit kann ich nicht rumlaufen. Meine Mutter vielleicht. Ihre Generation hat eh alles verbockt. Aber allein, dass es diese Rubrik gibt, zeigt zumindest, dass ein gewisses Bewusstsein für das Problem vorhanden ist. Eine aktuelle Studie kommt zum Schluss, dass neun von zehn Menschen ihren Konsum reduzieren wollen. Es gibt also Gegenbewegungen zum Konsum, die auf eine bewusste Einschränkung setzen. Der Minimalismus zum Beispiel: Dabei versucht man sein Hab und Gut so weit wie möglich zu reduzieren. Man besitzt nur, was man wirklich braucht. Diese Lebensweise hat auch andere Vorteile als nur die Rettung unseres Planeten: Man trägt weniger Ballast mit sich herum und hat mehr Zeit als Dinge. Studien zeigen, dass Menschen, die sich weniger auf materielle Dinge fokussieren, glücklicher sind. Das Phänomen heisst Suffizienz. Schon Sokrates meinte vor ein paar tausend Jahren: Je weniger jemand braucht, desto mehr nähert er sich den Göttern, die gar nichts brauchen.

Wenn jemand in einer Million Jahren auf der Erde buddelt, dann findet er unseren Konsum als eigene Gesteinsschicht.

Aber ich will doch gar kein Gott sein. Ich will jung sein und leben – jetzt! Wütend schaufle ich noch mehr Zeug in meinen Warenkorb. Die menschliche Psyche ist schwach, die Lust stark. Niemand will sich freiwillig einschränken, obwohl nachhaltiger Konsum Potenzial hätte. Ich könnte bei den Lebensmitteln etwas Gutes tun: Es gibt in Bern inzwischen viele Zero-Waste-Läden. Dort füllt man sich die Pasta selber ab, statt sie in Plastik verpackt zu kaufen. Oder ich könnte mein Mittagsmenü in einem Laden kaufen, der nur Waren vom Vortag verkauft. Ausserdem könnte ich auch Urban Gardening betreiben und meine Sachen in einem «Repair Café» reparieren lassen, statt neue zu kaufen. Das klingt doch alles gar nicht schlecht. Und Second- Hand-Kleider sind heute sogar unter Stilikonen angesagt.
Trotzdem geht der Cursor automatisch auf den Bestellbutton. Gleich bestelle ich eine riesige Ladung Zalando. Es sind schon 1500 Franken im Warenkorb. Naja, das kann ich ja wieder zurückschicken. Das CO2 vom Transport meiner kleinen Bestellung spielt praktisch keine Rolle für die Erde. Sie ist nicht mehr als ein Kuhfurz. Würde ich die Bestellung nicht aufgeben, dann hätte das nur einen extrem winzigen Einfluss. Im Alleingang bin ich eh zu schwach.
In Gruppen hingegen können wir etwas verändern. Wir sind extrem soziale Wesen, inspirieren einander und ahmen uns gegenseitig nach. Und wenn wir der Überzeugung sind, dass etwas durch Normen alleine nicht geregelt werden kann, giessen wir sie in Gesetze. Auch im Umweltbereich ist das sinnvoll und wahrscheinlich wäre sogar ein Zalandoverbot nichts als konsequent. Immerhin würde das mein Gewissen um einiges erleichtern, wenn ich dieser Versuchung nicht mehr ausgesetzt wäre. Ich wäre nicht mehr im Alleingang unterwegs, sondern wäre Teil einer Gesellschaft, die nach Normen und Gesetzen lebt und dadurch die Umwelt schont.
Doch findet das Verhalten der Gruppe seinen Ursprung nicht immer im individuellen Handeln? Vielleicht sollte ich doch im Alleingang starten. Nachdenklich scrolle ich durch meinen vollen Warenkorb. Wenn ich nur die Hälfte bestelle und stattdessen noch in einen Secondhandladen gehe, wird dann meine Freundin auch Lust bekommen, dort ihre Kleider zu kaufen? Wenn ich weniger Abfall produziere, überlegen sich meine WG-Mitbewohner*innen dann auch, wie sie bewusster konsumieren können? Schliesslich brauche ich, seit in den Vorlesungen nur noch wiederverwendbare Flaschen auf den Tischen stehen, auch nur noch selten PET. Und seit meine Lieblingsinfluencerin auf Instagram zeigt, wie toll regionale Märkte sind, gehe auch ich am Samstag auf den Markt.

Wir sind wandelnde Multiplikatoren.

Unser materieller Hunger mag wohl schwer zu zügeln sein. Aber als einzelner Mensch sein Verhalten zu ändern, ist ein wichtiger Schritt zu einer besseren Welt. Wir sind wandelnde Multiplikatoren. Durch unser Verhalten verändern wir die Menschen in unserem Umfeld und diese wiederum jene in ihrem. Step by Step in die richtige Richtung sozusagen. Wenn dieser Prozess kontinuierlich voranschreitet, können selbst kleine, individuelle Bemühungen mächtig etwas bewirken. Das beweist die Fridays-for-Future-Bewegung, die von einem sechzehnjährigen Mädchen quasi im Alleingang losgetreten wurde.
Diese Gedanken helfen mir dabei, nicht in vorweihnachtliche Depressionen zu versinken. Stattdessen habe ich meinen Zalando-Warenkorb in den letzten Minuten kontinuierlich um die Hälfte reduziert.

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