Sommermoment #2

Illustration: Lisa Linder

06. August 2020

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Seit der neolithischen Revolution dient der Garten vielen Kulturen als Sinnbild fürs Paradiesische. Im Sommer kann unser Autor verstehen warum – und beginnt selbst mit dem Bauen von Luftschlössern.

Die Erde unter meinen nackten Füssen ist angenehm kühl. Die Abendsonne strahlt nicht mehr gar so brutal wie am Nachmittag und ihr Licht fällt für einen kurzen Augenblick auf meine Arme, bevor sie zwischen den Blättern und Ästen vor mir verschwinden. Da mein Auge noch nicht so geübt ist, dauert es etwas länger, bis ich meine Hände an den richtigen Ort steuere. Doch die Auswahl ist gross und so dauert es auch trotz fehlender Routine nicht lange, bis meine Schüssel bis zum Rand mit Bohnen gefüllt ist.

Einen eigenen Garten mit selbstgezogenem Gemüse ist etwas, das ich aus meiner Kindheit nicht kenne. Vielleicht ist es für mich deshalb immer noch etwas Besonderes, im Sommer das Gemüse frisch vom Beet in die Küche tragen zu können um rund eine Stunde später mit einem schmackhaften Abendessen in den Händen wieder herauszukommen. Weil ich in einer Dachwohnung ohne Balkon wohne und die Vorzüge des Gemüsegartens nur bei meiner Flucht aus ebenjener überhitzten Dachwohnung aufs Land geniessen kann, tendiere ich möglicherweise auch etwas dazu, den heimischen Gemüseanbau zu romantisieren. Denn die Gemüsegartenveteran*innen werden jetzt zu Recht einwenden, dass auch das Lieblingsgemüse im Übermass zum Verdruss führt und doch kein Mensch fünf Wochen lang Bohnen essen will.

Dennoch bleibt es für mich eines dieser kleinen und doch so grossartigen Dinge dieser Welt, eine Pflanze von der ersten Knospe im Frühling bis zur ausgereiften Frucht im Spätsommer beobachten zu können. Es bringt eine Wertschätzung für das Lebensmittel mit sich, die eine Zucchetti aus dem Supermarkt nicht begreifbar machen kann. Es wird offenbar, wie viel Arbeit dahinter steckt, wie dankbar wir für fruchtbare Böden sein können und welche Verantwortung wir tragen, diese auch zu bewahren. Zugleich wird mir klar, dass viele nicht so privilegiert sind, Zugang zu einem Stück fruchtbarer Erde zu haben – in lokaler wie auch globaler Hinsicht – und ich denke mir, dass eine Gesellschaft, wie ich sie mir erträume, es allen möglich machen muss, frisches Gemüse anbauen, ernten und verarbeiten zu können.

Mit diesen in rohen Fetzen herumschwirrenden Gedanken trage ich meine Schüssel in die Küche. Nun noch ein paar Zwiebeln gewürfelt, ein paar getrocknete Tomaten in Streifen geschnitten, alles mit Bohnenkraut in einen Topf und schon bald geniesse ich eines meiner Lieblingsgemüse in der untergehenden Sonne. Ein echter Sommermoment: Ein fiebriges Flimmern am Horizont, das Träume zulässt und die kühle hereinbrechende Nacht, die dazu einlädt, diese Träume bis in späte Stunden über einem Glas Wein zu diskutieren.

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