Sich befremden, um sich zu befreunden

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Die Teilnehmenden der jungen Arena v.l.n.r.: Afiwa Sika Kuzeawu, Muveid Memeti, Brigitta Rotach (Moderation), Inci Demir und Tharnan Seliah. (Bild: Luca Hubschmied)

24. März 2017

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An der «Jungen Arena» im Haus der Religionen stellten sich im Rahmen der Aktionswoche gegen Rassismus vier junge Leute verschiedenster Herkunft ihren eigenen Vorurteilen und der Schwierigkeit, darüber zu sprechen.

Zu Beginn spielt die im Togo geborene Afiwa Sika Kuzeawu am Kontrabass und besingt in ihrem Lied «Afro Blue» die verträumte Sehnsucht nach Heimat. Die anschliessende Diskussion widmet sich dem «Aber» aus dem übergeordneten Titel der Aktionswoche gegen Rassismus: «Ich bin ja kein Rassist, aber…». Auf der kalt beleuchteten Bühne vor der kleinen Tribüne stehen Inci Demir (Alevitin), Muveid Memeti (Muslim), Afiwa Sika Kuzeawu (Christin) und Tharnan Seliah (Hindu).

Befreundung als Ziel

Die Veranstaltung ist im Programm der Aktionswoche unter einem Zitat des deutschen Politikwissenschaftlers Claus Leggewie angekündigt: «Wer sich befreunden will, muss sich befremden lassen.» In seinem gleichnamigen Text beschreibt Leggewie, dass die Befreundung das Ziel darstellt, welches aber nur durch ein befremden in der Begegnung realisiert werden kann.  Eine Homogenisierung kultureller Identitäten ist weder einem gesellschaftlichen Zusammenleben zuträglich, noch ein starker Ausdruck antirassistischer Haltung.

Über den Ausdruck des Fremden wurde in der Diskussionsrunde nicht im Sinne von Erfahrungen als Opfer rassistischer Aussagen und Handlungen gesprochen; der Fokus lag darauf, in welchen Situationen wir vielleicht unbewusst und auch ungewollt selbst in rassistische Denkmuster verfallen. Die Alevitin Inci Demir eröffnete denn auch schon bald, wie sie sich nach einer abgewiesenen Bewerbung bei dem Gedanken ertappte: «Jetzt schnappen mir diese Deutschen auch noch den Job weg.» Über solche Erfahrungen zu sprechen, gestaltete sich keineswegs leicht, es ist eine unangenehme Herausforderung, den selbst erlebten Rassismus einerseits berechtigterweise anzuprangern und auf der anderen Seite zuzugeben, selbst nicht vor Vorurteilen gefeit zu sein.

Das Koordinatensystem der Vorurteile

Muveid Memeti ist sich bewusst, dass einige Leute schlechte Erfahrungen mit radikalen muslimischen Vereinen und Moscheen gemacht haben, und bringt deshalb auch Verstädnis auf für eine gewisse Skepsis. Auch ihm selbst unterliefen während seiner Arbeit in einem Flüchtlingsheim Tendenzen der Schubladisierung, wenn er alle Afghanen, die neu im Heim aufgenommen wurden, pauschal als fleissig und arbeitsam klassifizierte, weil das seine bisherigen Erfahrungen mit Flüchtlingen afghanischer Herkunft wiederspiegelte. Auch wenn dies einen Aspekt positiver Diskriminierung darstellt, erwachsen dadurch sich selbstreproduzierende Gedankenprozesse, die je länger hingenommen, desto schwieriger zu unterbrechen sind. «Die Vorurteile bilden eine Art inneres Koordinationssystem, das uns die Navigation in der Welt erleichtert», erklärt Muveid, «wenn wir dieses aber auf Individuen anwenden, kann das gefährlich werden.»

Mit Selbsthass reagieren

Die Konfrontation mit der Diskriminierung der eigenen Volksgruppe führte im Fall von Tharnan Seliah dazu, dass er diese übernahm und selbst verinnerlichte: «Eine Weile lang hatte ich nur Schweizer Freunde und wollte mit anderen Tamilen nichts zu haben. Ich empfand sie als hinterlistig und egoistisch.» Selbsthass in dieser Form ist eine mögliche Reaktion auf erlebten Rassismus, eine andere sieht Muveid Memeti in der übertriebenen Identifikation mit der eigenen Herkunft, einem Schutzmechanismus, der vielleicht auch als Ursprung der Radikalisierung religiöser Gemeinschaften gelten kann.

Keine Angst vor Fehler

Die Diskussion im Haus der Religionen zeigte auf eine leicht zugängliche Art, wie niemand a priori vor Rassismus geschützt ist, sei es im Erleben oder dem Ausleben. Eine differenzierte Herangehensweise ohne Scheuklappen und ohne Angst, eigene Fehler eingestehen zu müssen, kann der Diskussion um rassistische Verhaltensmuster in unserer Gesellschaft nur gut tun. Um mit Claus Leggewie zu schliessen:

«Wer also bloss den Schluss zieht, Fremde seien im Grunde «Menschen wie du und ich», der schützt sich vor der Anstrengung, die Differenz auch zu durchleben. Wer stattdessen behauptet, er käme mit Fremden sowieso besser klar als mit seinesgleichen, versucht sich als selbstloser Snob und jovialer Beschützer. Beides, in der europäischen Geistesgeschichte als nobles Weltbürgertum und bürgerfeindlicher Exotismus ausgeprägt, versucht das Fremde zu fixieren oder aufzulösen, es also erst gar nicht an sich heran- und nahekommen zu lassen. Wer sich befreunden will, muss sich zunächst befremden lassen.»
(Claus Leggewie, «Wer sich befreunden will, muss sich befremden lassen», 1991, S.51)

 

Die laufende Berichterstattung zur 7. Aktionswoche gegen Rassismus ist eine Ko-Produktion zwischen der bärner studizytig und www.journal-b.ch

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