Pop-Up-Sommer

(Illustration: Lisa Linder)

20. Mai 2020

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Der öffentliche Raum wird zum Wohnzimmer und damit zur Projektionsfläche für verschiedenste Visionen. Ein Rundumblick durch die Pop-Up-Kultur in Bern.

Wenn in den ersten warmen Frühlingstagen die Stadt wieder aus ihrem Winterschlaf erwacht und die Leute in die Gärten, die Pärke und an die Aare strömen, ist es nicht mehr weit, bis auch die ersten Sommerbars und Openairkinos wieder aus dem Boden schiessen. Der von allen geliebte Berner Sommer entfaltet sich und mit ihm alle Möglichkeiten, die uns der öffentliche Raum bietet. Ein Bier trinken, mit der Familie picknicken, im Park jonglieren, einem Konzert beiwohnen oder sprayen gehen – ganz nach der jeweiligen Laune. Pop-Up-Kultur ist dabei als neues Trendwort in aller Munde. Darunter werden Bars und Cafés, aber auch kulturelle Veranstaltungsorte gezählt, die temporär einen öffentlichen Raum bespielen können und ihn damit gleichzeitig aufwerten sollen. Auch temporäre Möblierungen werden als Pop-Ups bezeichnet. Was auf den ersten Blick äusserst verlockend klingt, wirft auf den zweiten aber wichtige und kritisch zu beantwortende Fragen auf: Wem gehört eigentlich der öffentliche Raum? Und was wird unter «Belebung» verstanden? Welchen Stellenwert sollen dabei kommerzielle, welchen nicht-kommerzielle Projekte einnehmen? Und wie kann Zugänglichkeit für alle garantiert werden?

Ein knappes Gut

Das sind Fragen, denen sich die Stadt Bern stellen muss. Ihre Aufgabe ist dabei keine einfache: Sie entscheidet über das Sein oder Nichtsein von Pop-Ups quasi im Alleingang. «Der öffentliche Boden ist ein knappes Gut und die Stadt insoweit frei in ihrer Entscheidung über die vorübergehende Nutzung desselben», so Regierungsstatthalter Christoph Lerch, der in diesem Amt die Einzelgenehmigungen für gastgewerbliche Anträge erteilt, nachdem sie von der Stadt geprüft worden sind.Für kommerzielle Pop-Ups ist dabei weder eine Publikation der Projekte noch ein Einspracheverfahren vorgesehen. Beschwerden gegen schon bewilligte Projekte sind deshalb auch eher ein politischer als ein rechtlicher Prozess, können aber in Extremfällen sogar zur Beendigung der Zwischennutzung führen – so geschehen im Fall der Schützenmatte. Je nach Standort müssten die verschiedenen Anspruchsgruppen und Bedürfnisse der Bevölkerung abgewogen und ein optimaler Mix geschaffen werden. «Die Stadt muss hierbei stets die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, zum Beispiel die Rechtsgleichheit», sagt Lerch. «Wenn sie das tut, sehe ich kein Problem im fehlenden Einspracheverfahren».

Wem gehört eigentlich der öffentliche Raum?

Nicht immer werden die Nutzungsentscheidungen zu aller Zufriedenheit getroffen. So wurde im Dalmazimätteli auf Sommer 2020 ein neues Pop-Up-Projekt bewilligt, das verschiedene gastronomische Angebote beinhalten soll. Der Park an der Aare wird jedoch schon von verschiedenen anderen Gruppen rege genutzt. Slacklining und Akrobatik gehören genauso zum alltäglich sommerlichen Bild wie Schlauchboote, die in der Sonne trocknen, und Freund*innen, die sich zum Picknick einfinden. Die verschiedenen Anspruchsgruppen haben sich nun zum Verein «Pro Dalmazi» zusammengetan, um ihre Interessen besser vertreten zu können und das Gespräch mit der Stadt zu suchen. Ihrer Meinung nach wird der Park schon nicht-kommerziell beträchtlich genutzt und ein Gastroangebot würde die bisherigen Aktivitäten stark einschränken. Sie stellen die Frage: Braucht wirklich jeder noch so kleine Park und jede Wiese ihre Bar?

Nicht immer die Antwort

Nein, finden auch die Betreiber*innen der Trybhouz Bar, ein Pop-Up, das jeweils für drei Sommermonate das Altenbergpärkli an der Aare nutzen darf. «Für uns ist klar, dass die Antwort auf das Bedürfnis nach Belebung nicht in jedem Fall eine Pop-Up Bar sein darf», meint Julian von der Trybhouz Bar, «allerdings haben wir das Gefühl, dass man von Fall zu Fall und von Ort zu Ort unterscheiden sollte». Die unter Freunden entstandene Idee für ein gemütliches Gastronomieangebot am Surferhotspot Altenbergsteg wurde auch vom Quartier und der Anwohnerschaft höchst willkommen geheissen und die Resonanz war so positiv, dass der Quartierleist die Stadt in einem Brief um die wiederholte Bewilligung für die Bar bat. Soweit die Betreiber*innen wissen, tangieren sie keine nicht-kommerziellen Interessen. Sie sind sich jedoch bewusst, dass das andere unterschiedlich sehen, und versuchen in diesem Sinne den Platz möglichst für alle attraktiv und zugänglich zu halten.

Eine kommerzielle und eine nicht-kommerzielle Nutzung müssen sich nicht unbedingt ausschliessen.

Symbiotisch?

Die Kritiker*innen von Pop-Ups befürchten eine durch Konsumzwang herbeigeführte Kommerzialisierung des öffentlichen Raums. Dass es auch anders geht, zeigen Projekte wie «Peter Flamingo» von der Berner Pop-Up-Firma Mosaik Events. Sie beweisen, dass sich eine kommerzielle und eine nicht-kommerzielle Nutzung nicht unbedingt ausschliessen müssen. Der kulturelle Begegnungsort auf der Einsteinterrasse bei der Grossen Schanze kombinierte in den letzten drei Sommersaisons ein gastronomisches Street Food Angebot mit frei zugänglichen, kulturellen Veranstaltungen wie Openairkino-Vorstellungen und Konzerten. Dabei waren sie angewiesen auf die gastronomischen Einnahmen, wollten gleichzeitig aber auch, dass es möglich ist, sich mit dem eigenen Bier zum Film dazu zu setzen. Die Einnahmen finanzierten schlussendlich den nicht-kommerziellen Teil ihres Angebots – Konsum also, der einen Nicht-Konsum erst ermöglichte.Trotz allem stellt sich auch hier die Frage, für wen «Peter Flamingo» nun wirklich ist: Die Einsteinterasse war zuvor bekannt für Kleinkriminalität und randständige Gruppen, die sich dort aufhielten. Gastronomische Pop-Ups sind in diesem Sinne auch eine Möglichkeit zu steuern, wer sich wo im öffentlichen Raum aufhalten soll.

Viel, viel freiwilliges Engagement

Die grössten Herausforderungen, vor denen nicht-kommerzielle Projekte stehen, sind finanzieller Natur. «Nicht-kommerzielle Räume werden in der Stadt Bern und in der Schweiz allgemein immer seltener, da die Opportunitätskosten von den Projektinitiant*innen oftmals als zu hoch eingeschätzt werden», meint denn auch Mario vom Verein Warmbächlibrache. Finanzierung von Infrastruktur, Kosten durch Wasser, Strom und Logistik können nur durch einen grossen Teil an freiwilligem Engagement wieder wettgemacht werden. Das trifft sowohl auf umfassende Zwischennutzungen wie die Warmbächlibrache zu als auch auf sporadische Events wie zum Beispiel die Rollschuh- und Rollstuhldisco, die von der Heiteren Fahne vier- bis fünfmal im Jahr an verschiedenen Orten in Bern durchgeführt wird, darunter bisher zweimal am Europaplatz. Projekte wie das Kino im Kocher wiederum sind vor allem auf Sponsoren angewiesen, um ihr Openairkino kostenlos anbieten zu können.

Schaffen von Begegnungsorten

Trotz finanzieller und bürokratischer Hürden werden immer wieder nicht-kommerzielle Projekte in Angriff genommen. Sie benötigen dafür den öffentlichen Raum, nicht nur aus einer finan-ziellen Perspektive, sondern auch als Ort, an dem Menschen verschiedener Herkunft und verschiedenen Alters zusammenfinden können. Als Ort, der per Definition allen gehört. Das war einer der Gründe, weshalb die Heitere Fahne ihre Rollschuh- und Rollstuhldisco in den öffentlichen Raum Berns getragen hat. Sie will damit Menschen vernetzen, Bewegung und Spiel verbinden, gemeinsames Lernen und Lehren ermöglichen und schliesslich gerade jungen Leuten eine Alternative zum Vorplatz der Reitschule oder ähnlichen Orten bieten.

Ein Ort, der per Definition allen gehört.

Das war auch einer der Gründe, der am Anfang des Vereins Warmbächlibrache stand. Dieser ist aus dem Wunsch entstanden, einen freien und spontanen Begegnungsort mit kreativem Potenzial zu schaffen anstelle eines regulierten Veranstaltungsortes mit festen Öffnungszeiten und einem Sicherheitsdienst, der rund um die Brache patrouilliert. Diese Vision wurde in den letzten Jahren umgesetzt und der Platz von verschiedensten Zirkussen, Theater-kollektiven, Barbetrieben, aber auch von Kindern, Jugendlichen und Familien bespielt und mitgestaltet. Ziel sei es gewesen, so der Verein, einen Ort, der vermeintlich brachliege, für alle nutzbar zu machen. Alle sollen ihre eigenen Ideen und Gestaltungswünsche mitbringen und umsetzen können. Das ist auch der Wunsch der Organisator*innen des «Kino im Kocher». «Wir wollen tolle Gastgeber*innen im öffentlichen Raum sein und die Leute auf der Wiese im Kocherpark zwanglos zusammenbringen», erklärt Deana Gariup, Mitgründerin des jährlich im August stattfindenden Openairkinos. Ganz nach dem Motto: «Jede und jeder ganz wie er und sie will.» Die Besucher*innen können sowohl eigene kreative Picknicks mitbringen als auch vom kulinarischen Angebot vor Ort profitieren. Ihr Ziel sei es, etwas zu schaffen, dem sich alle zugehörig fühlen könnten, ohne ein Gefühl des Müssens.

KORA

«Begegnung» scheint das Wort der Stunde zu sein. Auch die Stadt Bern möchte lokale Initiativen zur nicht-kommerziellen Gestaltung des öffentlichen Raumes fördern. Dazu wurde das Kompetenzzentrum öffentlicher Raum (KORA) gegründet. «Das Ziel ist es», so Claudia Luder, Geschäftsführerin von KORA, «temporäre Projekte im öffentlichen Raum rasch realisierbar zu machen und Initiant*innen den Weg über schwerfällige Bewilligungsprozesse zu ersparen.» Dazu sind im KORA verschiedene Ämter vertreten, die diese Projekte zusammen koordinieren und die Initiant*innen unterstützen. In erster Linie schafft KORA mithilfe von temporären Infrastrukturangeboten neue Räume für nicht-kommerzielle Interaktionen.

(Illustration: Lisa Linder)

Eines der bekanntesten Beispiele ist der Sockel auf dem Waisenhausplatz, der während der Sommermonate jeweils als Bühne, Spielort und Begegnungszone diente und auch spezifisch Menschen eine Plattform bieten sollte, die kein eigenes Projekt in der Innenstadt realisieren könnten. Gastronomische Projekte wurden bewusst nicht genehmigt. Stattdessen wurde Raum geschaffen für Tanzkurse, Pingpongspiele und alltägliche Kaffeepausen. Zugänglichkeit ist dabei ein klares Leitprinzip, gibt Luder zu verstehen. «Exklusive, ausschliessende Projekte wären auf dem öffentlichen Boden nicht gestattet», erklärt sie. Aber auch bei solchen nicht-kommerziellen Projekten findet mit einer bewussten Möblierung immer auch ein Steuerungsprozess statt, welche Gruppen sich an welchen Orten aufhalten. Besonders im Hinblick auf soziale Randgruppen kann es deshalb geschehen, dass eine Belebung des öffentlichen Raumes zu einem politischen Instrument wird, um «Schönheitsfehler» desselben zu korrigieren.

Schönä bim Föhnä

Neben der Zugänglichkeit müssen sowohl kommerzielle als auch nicht-kommerzielle Projekte insbesondere die Bedürfnisse der Anwohnerschaft berücksichtigen. Projekte können für diese eine Bereicherung sein, bedürfen aber auch einer gewissen Toleranz von ihrer Seite. Wie es die Heitere Fahne treffend zusammenfasst, nachdem sie die Disco zur Schonung ihrer Nachbarn an den Europaplatz verlegt hat: «Wir sagen aber auch ‹Schönä bim Föhnä›, was dafür steht, dass das Leben dann und wann Lärm macht und unkommerzielle Kultur Toleranz von allen Seiten braucht, um eben diese Kultur überleben zu lassen». Essentiell ist dafür ein klarer und direkter Austausch, der eine schnelle Lösung von Problemen erlaubt. Das sieht auch Statthalter Lerch so: «Das Hauptproblem ist oft die Lärmfrage. Hier muss ein Pop-up ein Betriebskonzept aufweisen, das die Interessen der Anwohnerschaft berücksichtigt».

Ein Neben- und Miteinander

So befindet sich Nutzung öffentlichen Raums immer in jenem Spannungsfeld zwischen Belebung und Verdrängung, zwischen Kommerzialisierung, Zugänglichkeit und Berücksichtigung der verschiedenen Interessensgruppen. Nicht jeder Platz und jedes Pärkchen muss kommerziell genutzt werden. Eine kommerzielle Nutzung kann aber auch durch das Quartier erwünscht sein und auf sehr positive Resonanz stossen. Und schliesslich müssen sich kommerzielle und nicht-kommerzielle Nutzungen auch nicht ausschliessen. Im Gegenteil, sie können sich ergänzen und gegenseitig befruchten, sodass Pop-Up mehr als nur eine invasive Ausbreitung von trendigen Konsummöglichkeiten, sondern eine Entfaltung verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten sein kann. Ideen sind in der Hauptstadt auf jeden Fall zur Genüge vorhanden.

 

Wer sind alle?

Stylische Feierabendbiere auf Europaletten und Paninis unter Lichterketten sind politischer, als mensch denken würde. Toll für Tourist*innen, Gourmets und Kulturliebende, weniger toll für alle, die lieber einfach im Gras sitzen, turnen, yogieren, sich ungestört Dosenbier oder ein Buch zu Gemüte führen ist es, wenn in ihrem Lieblingspark plötzlich Pop-Up-Bars aus dem Boden schiessen. Dass öffentlicher Raum für alle da ist, scheint auf den ersten Blick eine Selbstverständlichkeit, ist es auf den zweiten aber nicht. Indem die Stadt ohne öffentlichen Diskurs darüber entscheidet, wo Public Viewing betrieben, wo getanzt und wo Glühwein getrunken werden soll, kann sie relativ direkt Einfluss darauf nehmen, wer sich wo aufhalten soll – auch ohne dass an jenen Orten Konsumzwang oder Verbote eingeführt werden. Es ist gut, kreativen Köpfen eine Möglichkeit zu bieten, sich im öffentlichen Raum mit ihren Ideen auszutoben. Dass das Verfahren dazu unkompliziert ausgestaltet ist, ergibt in vieler Hinsicht Sinn. Dabei darf aber nicht vergessen werden, wie vielseitig die Interessen an der Nutzung öffentlicher Plätze sind. Es lohnt sich darüber nachzudenken, an wem es sein soll, Dosenbier, Yoga, Lichterketten und Ungestörtheit gegeneinander abzuwägen.
Jana Schmid

 

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