Mein Schattenplatz #7

mein_schattenplatz

Illustration: Moritz Koller

03. September 2017

Von

Ein Schattenplatz auf Papier und viel Liebe für C.S.

Zwischen zwei leicht glänzenden, dünnen Seiten Papier im Nicht-ganz A4-Format liegt mein Schattenplatz verborgen. So lange bis ich ihn dem Licht aussetze, mit zwei Fingern die hintersten zwei Seiten aufschlage, denn das geht schneller als sich von vorne durchzublättern.

Und dann liegt sie vor mir, die vierthinterste Seite aus dem Tagi-Magi, die sich in meiner Prioritätenliste nach ganz oben bugsiert hat, andere Kolumnen weit hinter sich lassend. Illustriert von einem dezent platzierten und manchmal auch äusserst belanglosen Farbfoto schreiben Sie, Christian Seiler, dort Woche für Woche über das, was Sie wohl am besten kennen und können: Essen.
Sie tun das mit einer grossen Selbstverständlichkeit, die Ihnen vielerorts vielleicht als herablassendes Getue angekreidet wird. Doch nicht von mir, ich mag es, wie sie auf dieser Dreiviertel-nicht-ganz-A4-Seite von Geschmack, von Herkunft und von kulinarischer Kultur schreiben. Wenn die schwarzen Serifenbuchstaben Kunde tun, von Textur und Zubereitung und dabei so eingekocht wirken, wie der Sugo alla Nonna, den Sie gerade beschreiben.

Ja, an manchen stimmungsgeschwängerten Samstagmorgen liegt mir gar der Vergleich mit Luca Turin nahe, dieser Altlegende der sensorischen Sprache, der im „NZZ Folio“ in feinsinnigster Manier über Düfte und Parfums schrieb, dass das Papier in den Händen zu riechen begann. Diesen Status mögen Sie noch nicht ganz erreicht haben, doch hat ihre Kolumne zumindest einen alltagstauglicheren Wert, wenn Sie die Beschreibung ihrer Eindrücke mit dem dazu passenden Rezept abschliessen, seien das nun Artischocken, Spargelrisotto oder, wie kürzlich, eine Tarte Tatin mit der kalabrischen Tropea-Zwiebel. Letzteres stellte mich vor grosse Hürden, war doch die besagte Zwiebel hier nirgends auffindbar. Auch mehrere Anrufe bei italienischen Delikatessenläden, bei denen ich mich als Christian Seiler ausgab, halfen hier nicht weiter. Offenbar ist Ihr Name noch nicht in alle Ecken durchgedrungen.

Die grösste Freude empfinde ich bei den Texten, in denen Sie ihr Schreibhandwerk in der grössten Einfachheit ausüben und ein simples kulinarisches Erlebnis kondensieren, es mitsamt den begleitenden Eindrücken und Empfindungen aufs Papier bringen. Hingegen verzichte ich gerne, ohne Ihnen damit zu nahe treten zu wollen, auf Ratschläge für GastronomInnen und Auflistungen besuchenswerter Restaurants in North London. Schön ist auch, wenn Sie übers Trinken schreiben. Wie einmal, als Sie den oft unterschätzten Problemcharakter des „Glas zu wenig“ skizzierten und ich ihre Feststellung trotz entsprechender Schmerzen mit dem scheuen Nicken meines zentnerschweren, weil verkaterten, Craniums quittierte.
Einmal habe ich Sie gegoogelt und gemerkt, dass ich mir Sie ganz anders ausgemalt habe. Aber da können Sie ja nichts dafür. Schnell das Browserfenster geschlossen und mich wieder ihrer Kolumne zugewandt, denn diese braucht keine Bilder, ihre Sinneswelten sind Unterhaltung genug.

 

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