Freiraumprojekt Fabrikool

Bild: Sam von Dach

01. März 2017

Von und

Die Fabrikstrasse 16 auf dem von Roll-Areal ist seit über einer Woche besetzt. Der Kanton hatte die Räumung bereits angefordert, mittlerweile wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Zeit, neben der medialen Schlagwörterschlacht («Bern brutal, Krawall total» und «Krieg gegen die Polizei», Blick vom 27.02.2017) der vergangenen Tage, einen umfassenderen Blick auf die Hausbesetzung Fabrikool zu werfen.

Donnerstag, 15.00 Uhr: Es riecht nach Pizza und Kaffee. Rund vierzig Menschen geniessen zusammen die warmen Sonnenstrahlen. Viele sind in Gespräche verwickelt, einige haben ihre Skripts auf dem Tisch ausgebreitet, ein junger Mann übt sich in Diabolo-Tricks, zwei Kinder spielen Ping-Pong. Neben den orangefarbenen Tischchen liegen mehrere grosse Holzbalken, an denen herumhantiert und gewerkt wird. Man munkelt, es werde eine riesige Ameise. Im mobilen Holzofen wurden zuvor zehn Kilogramm Pizzateig verbacken. Gegen die hundert Menschen besuchten während den Mittagsstunden den Vorplatz des alten Holzschopfs am Rande des Von-Roll-Areals. «Wo ist das Kollekte-Kässeli?», erkundigt sich ein junger Mann und nimmt sich ein Bier aus dem Einkaufswägeli.

«Wild, selbstbestimmt und frei von Hierarchien, Konsumzwang und unnötiger Bürokratie»

Am Wochenende zuvor in der Nacht von Samstag auf Sonntag hat das Kollektiv Fabrikool das alte Holzhaus an der Fabrikstrasse 16 besetzt. Die Absicht der Besetzenden sei, das seit über zehn Jahren leerstehende Gebäude «allen zugänglich zu machen» und «zu beleben». Die Gruppe Fabrikool bestehe aus einer Vielfalt an Menschen «mit der gemeinsamen Motivation, Projekte auf die Beine zu stellen, die ohne Konsumzwang, Profitorientierung oder Leistungsdruck funktionieren», so die Stellungnahme der Besetzenden. Die Motivation zeigt sich im einwöchigen Programm, welches das Kollektiv unmittelbar nach dem Einzug präsentiert: Von einem täglichen Mittagessen für alle, über Mäntigsbar, Kino bis hin zu einem Geschichtenerzählabend ist bereits alles geplant.

Weder Nutzung noch Abriss

Das Haus an der Fabrikstrasse 16 steht seit Jahren unbenutzt da. «Ich dachte, es sei eine Lagerhalle oder ein Saal von der Uni», erzählt eine vorbeigehende PH-Studentin. Ihre Kollegin meint: «Ich hatte keine Ahnung wozu, aber ich dachte, der Schuppen werde sicher für irgendetwas gebraucht.» Die Mutmassungen treffen ins Leere. Der Zeitabschnitt des Leerstands lässt sich nur erahnen, der Kanton hat sich bis jetzt nicht dazu geäussert. Bereits im Jahr 2000 übernahm der Kanton das gesamte von Roll-Areal von der Stadt. Ab 2007 entstand darauf der neue Hochschulkomplex, doch das Gebäude der ehemaligen Schreinerei Muesmatt blieb beim Neubau unangetastet. 2011 verlangte ein Vorstoss aus dem Grossen Rat den Abriss des Gebäudes, welcher jedoch vom Denkmalschutz des Kanton Berns abgelehnt wurde. Jean-Daniel Gross, Denkmalpfleger der Stadt Bern, begründete den Entscheid gegenüber dem «Bund» damals folgendermassen: «Es gibt viele Möglichkeiten, wie das Gebäude genutzt werden könnte. Der Kanton hat zurzeit offenbar nicht im Sinn, das Gebäude zu nutzen. Das kann ich nicht ganz nachvollziehen.»

Auf einem Brett an der Hauswand des besetzten Gebäudes können nun Nutzungsvorschläge für den alten Holzschopf angeheftet werden. An Ideen mangelt es nicht: Hip-Hop-Workshop, Nähstube, Velo- und Töffwerkstatt, Kletterwand, Theaterraum, Raum zum Austausch, Quartiertreff. Die Vorschläge wurden am vergangenen Mittwochvormittag auch bei der Verhandlung zwischen dem Kanton und den Besetzenden vor Ort vorgestellt. Der Kanton zeigte zwar Verständnis für die Anliegen, sah in diesem Haus jedoch nicht den richtigen Ort dazu: Aufgrund Einsturzgefahr könne für das Gebäude keine Nutzung vorgesehen werden. Der vom Kanton mitgebrachte vorgefertigte Vertrag liess keinen Verhandlungsspielraum zu, den Besetzenden wurde ein Räumungsultimatum bis am Donnerstagmittag gestellt.

«Der Kanton hat zurzeit offenbar nicht im Sinn, das Gebäude zu nutzen. Das kann ich nicht ganz nachvollziehen.»

Ein Sicherheits- aber kein Nutzungskonzept

Das FABRIKOOL-Kollektiv hat auf den Einsturzhinweis des Kantons reagiert und mit einem Team aus ArchitektInnen, HolzbauingenieurInnen und Zimmermännern ein provisorisches Sicherheitskonzept herausgearbeitet. Das der bärner studizytig vorliegende Konzept beinhaltet erste technische und bauliche Massnahmen, die die Sicherheit des Gebäudes und der sich darin und rundherum aufhaltenden Menschen gewährleisten sollen.

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Im Inneren der ehemaligen Schreinerei an der Fabriktrasse 16. Bild: Sam von Dach

Die grosse Motivation und Einsatzbereitschaft des Kollektivs sowie von zahlreichen SympathisantInnen des Projekts wurde vom Kanton positiv zur Kenntnis genommen. Am letzten Freitag nahm das Amt für Grundstück und Gebäude des Kanton Berns (AGG) den Kontakt mit Fabrikool wieder auf und zeigte sich mit den baulichen Vorhaben des Kollektivs einverstanden. Durch diese soll zumindest das Erdgeschoss sicher nutzbar gemacht werden.

Laut Fabrikool sprachen die Vertreter des AGG an den Verhandlungen ausserdem ein Nutzungskonzept an. Ein solches wird jedoch von den Besetzenden vehement abgelehnt: «Der Kanton versucht anscheinend, seine Verhandlungsposition auszunutzen, um beim gesamten Projekt Fabrikool Überblick und Kontrolle zu erhalten. Das werden wir nicht zulassen!» Das Projekt wolle dementsprechend weitergeführt werden: «wild, selbstbestimmt und frei von Hierarchien, Konsumzwang und unnötiger Bürokratie – dies ist ein Freiraumprojekt.» Der Kanton bezog auf Anfrage bis heute keine Stellung.

«Was passiert, wenn die Besetzenden hier raus müssen?»

Neuer Quartiertreffpunkt

In der Anwohnerschaft kommt das Fabrikool-Projekt weitgehend positiv an. «Mir isch das rächt», meint ein älterer Anwohner, der mit seinem Hund vorbeigeht. Am Abend zuvor sei er auf ein Bier vorbeigegangen. «Ich wusste nicht, ob vielleicht nur Studierende dort wären», aber ein Besetzer habe ihn beruhigt: Es kämen sogar noch ältere Knochen als er.

Die Nachbarschaft wurde mit Flyern im Briefkasten und Plakaten an der Haustür über die Besetzung informiert. Auch eine Mutter aus den direkt anliegenden Häusern äussert sich verständnisvoll gegenüber dem Anliegen der Besetzenden. Ein bisschen ambivalent seien die Gefühle aber doch. Nach den heftigen Demos gegen die Räumung des besetzten Hauses in der Effingerstrasse frage man sich schon: «Was passiert, wenn die Besetzenden hier raus müssen?» Die angesprochene Räumung am vergangenen Mittwoch und die darauffolgenden Demonstrationen waren jeweils mit Sachschäden und Gewalt verbunden. Auch wegen der Kinder fürchte sie sich vor «solchen Krawallen» im Quartier. Ihre Kinder seien aber erfreut über den neuen Treffpunkt im Quartier, vor allem über den Ping-Pong-Tisch – und die «freundlichen Menschen».

Zu den Vorkommnissen von letzter Woche äusserte sich das Kollektiv in der Stellungnahme gegenüber der bärner studizytig: «Wir solidarisieren uns mit den anderen Besetzungen und allen, die sich für Freiräume und ein selbstbestimmtes Leben einsetzen.»

Einen Einblick in weitere Hausbesetzungsprojekte in der Stadt Bern gewährt der Artikel «Besetzt!» in der sechsten Ausgabe der bärner studizytig vom 20. Dezember 2016.

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