Wenn du mich nicht magst, dann gehe ich

Career Days

Studierende werden bei der Absolventenmesse im Kulturcasino Bern begrüsst. Bild: Luca Ferrari

10. Juni 2017

Von und

Der gesamte Arbeitsmarkt liegt im Wandel. Der Grund? Die Generation Y.  Dabei verbinden UnternehmensführerInnen, SozialwissenschaftlerInnen und Zeitungen immer wieder dieselben Stereotype mit uns. Was hat sich auf dem Markt wirklich geändert und stimmen die Klischees?

Max schaut sich um. Geplauder erfüllt den grossen Saal, in dem fein gekleidete Damen und Herren ihre Prosecco-Gläser klingen lassen und sich gegenseitig die Hände schütteln. Viele MitstudentInnen von Max sind zu diesem Anlass gekommen. Fast ebenso viele VertreterInnen von Unternehmen scharen sich um ihren Posten, geschmückt mit dem jeweiligen Logo ihrer Firma. Max und seine Freunde wollen herausfinden, was die Zukunft für sie bereithält. Eine verantwortungsvolle Position in einem grossen Unternehmen? Viel verdienen, rasch aufsteigen und gleichzeitig noch Zeit für Freunde und Hobby haben? Ein in knalligen Farben präsentiertes Logo einer Firma erregt Max’ Aufmerksamkeit. Er entfernt sich von seiner Gruppe und nähert sich dem Stand des Unternehmens. Bevor er sich den Geschäftspersonen zuwendet, wendet sich sein Blick auf den Prospekt der Firma, der von einem Festschmaus umringt auf dem Tisch liegt.

Der Beschrieb ist wie Balsam für das aufstrebende Karriereherz des jungen Studenten. Da steht: «Wir sind eines der innovativsten Unternehmen weltweit. Mit uns kannst du etwas bewegen. Wir bieten ein vielfältiges Arbeitsumfeld, unabhängig und mit Führungsstufen auf Augenhöhe. Bist du ein Teamplayer, kommunikativ und möchtest deine Ideen einbringen? Dann bewerbe dich bei uns.» Soll er den Flyer nehmen, sich mit dem Unternehmen bekannt machen und später wieder zu seinen Freunden stossen?

Nicht nur Millenials müssen sich gut verkaufen können

Solche Eigenbeschriebe lesen sich in verblüffend ähnlicher Form überall auf Absolventenmessen. Sie betonen gezielt die Bedürfnisse, die auf dem heutigen Arbeitsmarkt gefordert werden. Die Unternehmen müssen sich im starken Wandel, der den Arbeitsmarkt beherrscht, gut verkaufen können. Digitalisierung, Technisierung und das Internet prägen die Multioptionsgesellschaft.

Es kostet die Unternehmen viel Zeit, sich anzupassen. Sie wollen attraktiv bleiben, ihren Namen in die Münder der Studierenden bringen und sich damit die nächste Generation zum Aufschwung sichern. Die nächste Generation? Das sind wir: die ersten Digital Natives, die ständig Suchenden und Hinterfragenden, die grenzenlosen Erlebnisliebenden und Improvisationstalente. Kurzum: Wir sind die Generation Y.

Die lockenden Zeilen der Eingangsszene verraten uns aber nicht nur einige wichtige Schlagwörter, die mit uns Ys in Verbindung gebracht werden. Sie stehen symbolisch genauso für ein neues Verhältnis zwischen Arbeitgebenden und Beschäftigten wie es in diesem Ausmass bei der Wende zum 3. Jahrtausend noch nicht anzutreffen war.

«Ich habe für meinen Job gebettelt»

Die Millenials stehen nun vor den Pforten des Geschäftsuniversums. Wir gehen die Jobsuche im Jahr 2017 mit grosser Zuversicht an. Wir suchen nicht einfach eine Arbeit, um eine zu haben. Wir wollen etwas bewegen, uns selbst verwirklichen. Das war, zumindest für Xavier Chauville, Executive Director von Page Personnel Schweiz, vor dreizehn Jahren noch ganz anders.

Damals wäre es ihm nicht im Traum in den Sinn gekommen, beim Bewerbungsgespräch zu fragen: Und was springt für mich dabei raus? Die Rollenverteilung war damals noch klar. Bewerbende passen sich dem Unternehmen an, nicht umgekehrt. «Ich bettelte für meinen Job bei Michael Page», erklärt er. Mit dem Blick auf die Gegenwart gerichtet, sagt Chauville: «Wenn ich mich morgen bei einer Firma bewerben würde, dann würde ich sicher danach fragen, was sie mir persönlich für meine Karriere bringen kann.»

Sogar die Generation X denkt jetzt wie wir

Der Romands ist im Jahr 1978 geboren und gehört somit noch zur Generation X. Unsere Eltern werden in der Literatur mit einem Lebensgefühl der Konsumverweigerung und einem Wertesystem, das nicht auf einer Anhäufung von Statussymbolen beruht, verbunden. Mittlerweile betreten wir – die Ys – die Bühne und bringen ganz andere Erwartungen mit auf den Speiseplan.

Damals wäre es ihm nicht im Traum in den Sinn gekommen, beim Bewerbungsgespräch zu fragen: Und was springt für mich dabei raus?

«Junge Leute ticken anders als vor dreizehn Jahren. Heute ist ihnen viel Freiheit neben und innerhalb der Arbeit wichtig», sagt der 39-Jährige. Er nennt ein Beispiel, in dem eine Mitarbeitende fast drei Monate im Jahr freigenommen hat, weil das für sie wichtig war. Betriebe müssten diese Bedürfnisse verstehen können. «Wenn sie das nicht machen, gehen die Millenials fort.» Darauf angesprochen, dass er ja selbst eher wie ein Y redet als ein X, bemerkt Chauville: «Wir von der Generation X müssen uns an die Generation Y anpassen, genau wie die Unternehmen. Auch ich muss mich anpassen, wenn ich morgen noch meine Führungsposition haben will.»

Der Unternehmer nennt ausserdem Faktoren wie Flexibilität, Weiterbildungsmöglichkeiten und der stärkere Ich-Bezug der Ys, auf die Firmen achten müssen. Dabei dreht sich alles um die Frage: Was können wir als Unternehmen den neuen Mitarbeitenden bieten?

Dass sich junge Menschen keinen Hehl aus Ansehen machen, ist nicht bestätigt

Am 16. April erschien in der Sonntagszeitung ein Bericht mit dem Titel: «Junge pfeifen auf Prestige im Job», in dem die Autorin betont, dass die jüngste Generation bei der Arbeit die Abwechslung dem Ansehen vorziehe. Millenials würden sich nicht für langjährige Firmenkarrieren interessieren, sondern für Zickzacklebensläufe nach dem Lustprinzip.

Die Aussagen wurden mit Referenz an Page Group und deren Studien untermauert. Ohne Angaben von Zahlen. Nachgefragt bei Chauville, hat sich ergeben, dass der Page-Group-Index in dieser Hinsicht in Wahrheit keine Daten liefert, welche die aufgezeichneten Tendenzen stützen würden. Der Index zeigt lediglich Trends auf dem Arbeitsmarkt auf, in dem es unter anderem die Zuversicht der Befragten, in nächster Zeit einen Job zu finden, misst. Der Artikel vermittelt letztendlich ein Bild der Y, das uns als gemütliche Sofa-Hocker ohne Karriereambitionen zeigt.

Diese Meinung teilt weder die auch im Text der Sonntagszeitung erwähnte ManpowerGroup-Studie noch Axel Franzen, Professor an der Universität Bern. Der Soziologe veröffentlichte 2013 eine Studie, welche die These verneint, dass zumindest bei Absolventen das Streben nach Erfolg abgenommen habe. Im Gegenteil: es soll sogar zugenommen haben. Franzen vermutet die Ursachen für den Anstieg dieses Bedürfnisses in der gestiegenen Zahl von Studierenden aus tieferen sozialen Schichten mit ärmlicheren Hintergründen. Für sie müsse sich das Studium in finanzieller Hinsicht lohnen.

Im Gegensatz dazu, lägen materialistische Verlangen bei Studierenden, die aus wohlhabenderen Familien kommen, entsprechend im Hintergrund. Trotzdem beschwichtigt der Professor mit Schwerpunkt in empirischer Sozialforschung die Prestige-These: «Der soziale Wandel ist ein extrem träger Prozess. Ich glaube nicht, dass sich in dieser Hinsicht in letzter Zeit gross etwas geändert hat.»

Von wegen Coach-Potatoes

Unterdessen ergab die ManpowerGroup-Studie, in welcher der Personaldienst letztes Jahr 19 000 Personen der Generation Y auf der ganzen Welt befragte, dass es zwar 17% der Ys nicht auf viel Geld abgesehen haben, für 89% ein guter Lohn trotzdem an erster Stelle steht und 87% der Millenials mehr als 40 Stunden pro Woche dafür arbeiten. Damit arbeiten wir laut der Studie mindestens gleich viel wie die Generationen vor uns.

manpowergroup studie

Die Präferenzen der Millenials gemäss einer ManpowerGroup-Studie (Quelle: ManpowerGroup).

Die Schlussfolgerungen der ManpowerGroup passen zu den Aussagen von Page Personnel Exekutivchef Chauville. Die Firma formuliert sogar konkrete Tipps, wie Unternehmen ihre Attraktivität erhöhen und uns Ys am besten anlocken können. Da stehen dann so Sachen wie: «Zeigen Sie ihren Millenials Wertschätzung, setzen Sie den Schwerpunkt auf Vielfalt, Mobilität und Flexibilität und bieten Sie ihnen Karrieresicherheit, indem Sie beweisen, dass sie am richtigen Ort sind.»

Keine Generation vor uns war so gebildet

Genau deswegen sind plötzlich alle Unternehmen an Absolventenmessen flexibel, bieten interne Weiterbildungsmöglichkeiten und haben bestenfalls auch noch eine geschäftsinterne Du-Kultur. Denn hier präsentieren sich den Unternehmen die High-Potentials, auf die sie es am meisten abgesehen haben. Gleichzeitig finden wir hier einen weiteren Aspekt, den unsere Generation von Vorangegangenen unterscheidet: Wir sind die am besten ausgebildete Generation, welche die Arbeitswelt je betreten hat.

Da stehen dann so Sachen wie: «Zeigen Sie ihren Millenials Wertschätzung, setzen Sie den Schwerpunkt auf Vielfalt, Mobilität und Flexibilität und bieten Sie ihnen Karrieresicherheit, indem Sie beweisen, dass sie am richtigen Ort sind.»

Mittlerweile liegt die Studienquote eines Jahrgangs in Deutschland bei 25%. In der Schweiz lag sie 2013 bei 18%, 2003 waren es noch zehn Prozent weniger. Kein Wunder also, hegen wir auch einen gewissen Anspruch an unseren zukünftigen Arbeitgeber. Wer sich allerdings auf diese Sichtweise beschränkt, ignoriert den Rest des Puzzles. Denn woran kann es noch liegen, dass wir Ys so neu Denken und den ganzen Arbeitsmarkt dazu zwingen, sich uns anzupassen?

Chauville sieht einen Hauptgrund darin, dass wir in kürzeren Zeitzonen denken und unsere Loyalität gegenüber einem Arbeitgeber dadurch abgenommen hat: «Früher war die Loyalität grösser, da hatte man nur für einen Arbeitgeber gearbeitet. Heute sind die Zeiträume viel kürzer. Ein Millenial weiss: Wenn ich mich bewerbe, werde ich wahrscheinlich in zwei, drei Jahren kündigen.»

Krisen in unserer Jugend könnten die Ursache für alles sein

Der Grund für diese Denkweise lässt sich historisch erklären. Der deutsche Soziologe Klaus Hurrelmann wies 2014 in diesem Zusammenhang auf die sensible und formende Zeit der Jugend hin, die bei uns von den Terroranschlägen in New York, weltweiten Kriegen und Wirtschaftskrisen massgeblich beeinflusst worden ist. Solche Gegebenheiten hätten uns den Eindruck vermittelt, dass das Leben mit Ungewissheiten verknüpft sei und es deshalb keinen Sinn ergebe, weitsichtig vorauszuplanen.

Chauville weist ergänzend darauf hin, dass die Finanzkrise im Jahr 2008 zu einer Welle an Kündigungen geführt hat, was die Relation zwischen Betrieben und Angestellten weiter beeinflusste. Daraus würde sich auch unser starkes Bedürfnis nach einer sicheren Arbeitsstelle (85% der von Manpower befragten Schweizer-Ys gaben dies bei der Umfrage an) erklären lassen. Franzen stimmt dem zu, gibt aber zu bedenken, dass die Finanzkrise in der Schweiz und in Deutschland nie eingetreten ist und bloss die Angst davor bestand: «Die geringe Arbeitslosenquote hier in der Schweiz und in Deutschland machen solche Umstände nicht wirklich verständlich.»

Wir verhalten uns im Jobinterview wie bei Mami und Papi

Das Element der Kurzlebigkeit und die damit verknüpfte gesuchte Vielfalt stehen also im Zusammenhang mit den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Wie lassen sich jedoch die hohen Ansprüche, die wir auf einmal hegen, erklären?

‚Erziehung!‘ lautet die kurze Antwort. Die längere Antwort umfasst neue soziale Gegebenheiten, Erwartungen, die daraus resultieren und vermag überdies zu erklären, warum mit unserer Generation oftmals das Bild einer «Easy-peasy-Generation» assoziiert wird, das in Presseartikeln oftmals hervorsticht.

Gegenüber dem Bundesarbeitgeberverband Chemie erklärte die BWL-Professorin Jutta Rump 2014: «Ihre {jene der Ys, Anm. der Autor} Haltung in Jobinterviews spiegelt den von ihnen genossenen Erziehungsstil wider. Die Eltern haben den Ys einen perfekten Mix aus Aufmerksamkeit, Fürsorge und Freiheit geboten. Im Job erwarten sie dasselbe nun auch von ihren Vorgesetzten.» Chauville teilt der Erziehung ebenfalls eine wichtige Rolle zu: «Die Y-Generation hatte diesbezüglich viel mehr Komfort. Heute muss man nicht für ein iPhone arbeiten – man hat ein iPhone.»

Wir wollen Transparenz, weil das Internet sie uns beigebracht hat

Der Wirtschafts-Autor Anders Parment schrieb 2009, dass der Umstand, dass wir in einer transparenten Gesellschaft mit vielen Wahlmöglichkeiten aufgewachsen sind, uns ebenfalls dazu veranlasse, transparent zu handeln und Transparenz von unserem Umfeld zu erwarten. Die neu geforderte Klarheit würde vom Überschuss an Kommunikation und Information herrühren, welche vom Internet ausgehe.

58% der in der Schweiz lebenden Ys haben angegeben, bei mangelnder Anerkennung ihren aktuellen Arbeitsplatz aufzugeben.

Im Internet kann jeder Preis jedes Produkts verglichen werden. Die Preisvergleiche erfordern mehr Alternativen und plötzlich wird das Abwägen von Optionen zu einer Selbstverständlichkeit, ja, der Konsum gar zur Selbstprofilierung. Wir als Digital Natives sind damit aufgewachsen. Diese Transparenz fordern wir nun auch bei unseren zukünftigen Vorgesetzten ein.

Das Bedürfnis nach Anerkennung am Arbeitsplatz ist gestiegen

Parments Argumentationen decken sich mit den Ergebnissen der ManpowerGroup. 58% der in der Schweiz lebenden Ys haben angegeben, bei mangelnder Anerkennung ihren aktuellen Arbeitsplatz aufzugeben. Daraus schlussfolgerte die Studie, dass Unternehmen regelmässiges Feedback geben müssten – ganz ähnlich wie dies unsere Eltern stets taten und wohl auch immer noch tun.

All das hat sich Max wahrscheinlich nicht gedacht, als der den Prospekt des Unternehmens XY genommen und sich gefragt hat, ob er sich mit den Vertretern bekanntmachen sollte. Warum sollte er es auch nicht? Es wäre für ihn beim nächsten Bewerbungsgespräch sicher ein grosser Vorteil zu wissen, wie und warum sich die Betriebe so sehr an seine Denkfiguren angepasst haben.

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments