Schlecht investiertes Kleingeld

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Wohin steuert die Tamedia mit ihrem neuen Lohnmodell? (Bild: Sam von Dach)

15. März 2017

Von und

Tamedia testet ein neues Modell, welches mehr Besuche ihrer Onlineartikel zum Ziel hat. Die Strategie lautet: finanzielle Honorierung derjenigen RedakteurInnen, die besonders oft angeklickte Beiträge verfassen. Der Weg führt aber direkt in eine Sackgasse.

Im Ansatz ist die Idee eine Katastrophe: Wenn Klicks auf journalistischen Beiträgen lohnrelevant werden, kann das der Qualität der Inhalte nur schaden. Bekanntlich klickt die Mehrheit der Lesenden nicht an, was gut recherchiert ist. Sondern, was spektakuläre Bilder und sensationelle Storys bietet. Mit Tamedia hat aber ausgerechnet das grösste Verlagshaus der Schweiz einen Pilotversuch gestartet, bei dem besonders oft gelesene Artikel belohnt werden.

Die Medienlandschaft der Schweiz lichtet sich unaufhaltsam. Für Aufsehen sorgte zuletzt unter anderen der Verlag Ringier Axel Springer mit der Schliessung des Westschweizer Magazins «L’Hebdo». Gerade für die JournalistInnen der französischsprachigen Schweiz sind Kürzungsmassnahmen frustrierend, wenn sie von Zürich aus getätigt werden. Die Romandie fühlt sich übergangen. Auch Tamedia offenbart solche Tendenzen: im vergangenen Jahr haben bei den etablierten Tageszeitungen «24 heures» und «Tribune de Genève» insgesamt 24 Personen ihre Stelle verloren. Natürlich spart der Grossverlag aber in den Redaktionen der ganzen Schweiz; so sind die grossen Tageszeitungen «Tages-Anzeiger, «Der Bund» und die «Berner Zeitung» in den vergangenen Jahren kontinuierlich geschrumpft.

Angriff auf Grundwerte

Die Zukunft gehört selbstredend dem Onlinejournalismus und im Netz misst sich der Erfolg eines Mediums in Klicks. So weit ist das Bestreben der Tamedia, ihre Klickzahlen zu erhöhen, nachvollziehbar. Das direkte Verknüpfen des Ziels mit monetären Anreizen sendet allerdings ein grundfalsches Signal aus. Denn mit solchen Modellen sind reisserische Titel im Stil des Boulevard geradezu programmiert. JournalistInnen sollten aber aus Eigenantrieb heraus stets bestrebt sein, innerhalb der jeweiligen Rahmenbedingungen möglichst guten Inhalt zu produzieren. Orientieren sich Redaktionsmitglieder hingegen am möglichen Verdienst, gehen journalistische Grundwerte verloren.

Glücklicherweise ist das Ausmass (noch) nicht so drastisch, wie es der Titel «bei Tamedia werden Klicks lohnrelevant» (SRF Online) vermuten liesse. Das bereits laufende Experiment betrifft keine redaktionellen Eigenleistungen wie Reportagen. Betroffen sind die rund 30 Angestellten des «Newsexpress». Diese selektionieren Meldungen von Nachrichtenagenturen und verschreiben sie zu fertigen Texten für den «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten».

Hauptsache «attraktiv»

Das Ziel der Aktion sei es, «trockene Agenturmeldungen attraktiv aufzubereiten», sagte Sprecher Christoph Zimmer gegenüber der «NZZ». Die Tamedia-Zeitungstitel wollen also zusätzliche LeserInnen gewinnen, indem sie weniger Trockenfutter servieren. Ob die Texte tatsächlich besser werden, wenn ein Bonus winkt, ist stark zu bezweifeln. Immerhin: die «Newsexpress»-Redaktionsmitglieder haben keine existenziellen Probleme zu befürchten. Der Grundlohn bleibt bestehen, die drei klickstärksten Artikel pro Trimester werden zusätzlich honoriert. Ebenso kann sich das Team einen Kollektivbonus verdienen, nämlich dann, wenn es die gesamte Klickzahl im Vergleich zum Vormonat steigern kann.

Noch ist es ein erster Pilotversuch. Tamedia wird hoffentlich zum Schluss kommen, dass die Boni kaum Einfluss auf die LeserInnenzahl haben. Die Boni betragen gemäss der «NZZ» mehrere hundert Franken, belasten das Budget also kaum. Die Tamedia erdreistet sich ansonsten, trotz dreistelliger Millionengewinne aus anderen Geschäftsfeldern nicht in den Journalismus investieren zu wollen. Der Pilotversuch beim «Newsexpress» ist dagegen tatsächlich eine kleine Investition. Nur leider keine sinnvolle.

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SmithZeuge
15. März 2017 19:53

Ich denke die Studizytig sollte ein ähnliches Anreizmodell auf jeden Fall prüfen.

DerWidersprecher
17. März 2017 12:48
Reply to  SmithZeuge

Diesem Vorschlag kann ich gar nichts abgewinnen. Ich finde es wichtig, dass eine Zeitung mit ehrenamtlich arbeitenden JournalistInnen keine bestimmten Inhalte bevorzugt behandelt. Durch ein solches Anreiz-System würde früher oder später Qualität von Sensationsjournalismus verdrängt werden. Vorstellbar wäre für mich die Einführung einer Auszeichnung für die bestmöglichst recherchierte Reportage in der studizytig. Das würde einen Anreiz schaffen, der echte journalistische Qualitäten fördert.

SmithZeuge
18. März 2017 11:39

Dass ein solches Anreizmodell früher oder später zulasten der Qualität im Sinne von sachlich hochwertigem Journalismus geht ist im gegenwärtigen Gesellschaftsklima wahrscheinlich, das liegt auf der Hand. Der relevante Punkt ist doch ohnehin die Relation zwischen den dem Anreiz-System und der Gesellschaft, denn es ist eben gerade nicht das Anreizmodell am Ursprung das Problems, sondern die Gesellschaft. Würde die Gesellschaft nicht Sensationsjournalismus höher als Qualität gewichten (wenn kollektiv betrachtet, gemessen an Klicks), dann wäre dieses Anreiz-System höchstens vor dem Hintergrund der Schwächen materieller Entlöhnung ein Problem. Schon nur dieser Umstand illustriert doch, dass es dem Artikel in dieser Hinsicht an… Zeig mir mehr! »

DerWiderwidersprecher
18. März 2017 18:51

Spannender Vorschlag. Eine Auszeichnung für bestmöglich recherchierte Reportage würde dann aber wieder eine bestimmte Form von journalistischer Arbeit bevorzugen. Ich erachte es als wichtig, dass auch Darstellungsformen, die mit weniger oder gar ohne Recherche auskommen, wertgeschätzt werden, wie etwa das Essay oder der Kommentar.

Candy-Andy
20. März 2017 10:28
Reply to  SmithZeuge

Wenn die studizytig ihre MitarbeiterInnen dann mal entlöhnen kann, wird sie das bestimmt tun…