Die fabelhafte Welt der Sophia Berger

Bild: Erzählabend mit Sophiedorothea Berger

Erzählabend mit Sophiedorothea Berger. Bild: Sina Fischer

27. Mai 2017

Von , und

Märchen sind ihre steten Begleiter. Sophiedorothea Berger verwendet die häufig als Kindergeschichten belächelten Volkserzählungen, um eine Verbindung zu Menschen aus anderen Kulturkreisen aufzubauen. Die bärner studizytig hat hingehört, an einem ihrer Erzählabende und bei einem persönlichen Gespräch.


Ein Sandsteinkeller in der Altstadt, die Strahlen eines linden Sonntagabends fallen die steile Treppe hinunter in das Gewölbe. Dort haben sich ein Dutzend Leute versammelt, um für einige Stunden in märchenhafte Welten einzutauchen. Der kleine Raum ist mit einem weichen, gelblichen Licht beleuchtet und mit Sitzkissen und Teppichen eingerichtet. Einige Stuhlreihen sind aufgestellt. Wer die Treppe hinuntersteigt, wird sogleich von einer Atmosphäre wie bei Tausendundeiner Nacht ergriffen. Sophia, die schon beim ersten Treffen das Du anbietet, ist in ein reges Gespräch vertieft. Zusammen mit Parvin aus dem Iran und Eldisa aus Albanien wird sie bald zwei Märchen aus deren Heimatländer erzählen.

Sophia ist in Langnau im Emmental aufgewachsen, wie sie uns an einem verregneten Tag Anfang April im Café erzählt. Seit ihrer Kindheit sind Märchen ein Teil ihres Lebens. «Unsere Mutter hat viele Geschichten erzählt, so wurden diese für mich selbstverständlich», erinnert sich die heute 79-Jährige. Als Jugendliche ging sie dann nach Bern, um eine Ausbildung zur Lehrerin zu beginnen. Nach einigen Jahren in diesem Beruf machte sie eine Weiterbildung zur Heilpädagogin und arbeitete fortan mit Menschen mit einer geistigen Behinderung. Während dieser ganzen Zeit verwendete sie Märchen, sei es in der Freizeit oder bei der Arbeit.

Im Jahr 2003 fasste sie schliesslich den Entschluss, nach Palästina zu reisen. «Eigentlich ist das George W. Bush zu verdanken», meint sie und lacht, «er bezeichnete Palästina als das Land der Bösen. Da dachte ich mir: Da gehe ich hin». Sie arbeitete in einer Reha in Ramallah, Arabisch konnte sie nur einige wenige Worte. Trotzdem kam sie dort zum ersten Mal mit Volkserzählungen aus einer anderen Kultur in Berührung – und war sofort verzaubert. Spontan und offen wie sie ist, tat sie sich mit einem palästinensischen Professor zusammen, um einige der palästinensischen Märchen ins Englische zu übersetzen und in einem Buch zu sammeln. Dabei sollte es jedoch nicht bleiben – Sophias Feuer war entfacht. Sie suchte nach Märchen aus verschiedensten anderen Ländern wie Tibet oder Eritrea. Fündig wurde sie dabei unter anderem im Asylzentrum, in welchem sie eine Zeit lang Deutsch unterrichtete. Sophia ist eine passionierte Erzählerin, sie spricht direkt, unverblümt und offen, ob sie nun Märchen oder aus ihrem Leben erzählt. Obwohl sie bei letzterem keinem roten Faden folgt, vermag sie es dennoch, uns vom ersten Wort an in ihren Bann zu ziehen.

Bild: Sophia mit Parvin und Eldisa

Sophia zusammen mit Parvin (links) und Eldisa (rechts)

Den Versammelten an besagtem Sonntagabend geht es nicht anders, als Sophia mit einem kurzen Eröffnungswort beginnt. Sobald es ruhig wird, setzen sich Parvin und Sophia auf die grossen Sitzkissen. Mit kräftiger Stimme hebt Sophia an und erzählt die berührende Geschichte eines Baumes, der verkümmert, da er nicht so wachsen kann wie er gerne möchte. Schliesslich erfährt er jedoch von einem kleinen Mädchen Liebe und Akzeptanz und erblüht so von Neuem. Parvin erzählt nun dieselbe Geschichte auf Persisch, die fremde Sprache hört sich wie eine ungewohnte Melodie an. Dennoch ruft der Erzählton ein Gefühl von Vertrautheit hervor und in diesem Augenblick wird klar, was Sophia meint, wenn sie von der Sprache der Märchen spricht.

Mehr Sinnlichkeit, weniger Rationalität

Für Sophia ist unsere Welt zu stark von Rationalität geprägt, Märchen würden dazu einen Ausgleich schaffen. «Die Sinnlichkeit kommt einfach zu kurz. Alles soll mit dem Kopf und der Logik erfasst werden», meint sie. Dabei sollte viel mehr auf die Gefühle achtgegeben werden. Märchen bedienen aus der Sicht von Sophia ebendiese Sinnlichkeit, sie sprächen auf einer anderen Ebene zu Menschen als beispielsweise wissenschaftliche Texte. Auch wenn Märchen in einer anderen Sprache erzählt werden würden, scheinen Zuhörende den Sinn der Geschichte erfassen zu können, erzählt sie uns mit Begeisterung. Ausserdem liessen Märchen einen grossen Spielraum für Interpretation, jeder und jede könne sie so verstehen wie sie möchte und wie er sich gerade fühlt. Einer, der ihrer Meinung nach diese Sinnlichkeit mit seiner Kunst verkörperte, war Mani Matter. «Er hat es geschafft, diese Sinnlichkeit der Texte in seinen Liedern rüberzubringen», schwärmt sie.

Märchen schaffen einen Ausgleich zu unserer von Rationalität geprägten Welt.

Nach einer kurzen Pause geht es weiter, nun auf Albanisch – mit einer tragischeren Geschichte, bei der sich eine Mutter opfert für die Stärke ihres Volkes, indem sie sich in die Stadtmauer einmauern lässt. Gebannt hören die Gäste zu, die beiden Erzählerinnen verstehen es, ihr Publikum zu fesseln. Am Ende des Abends gibt es einige Häppchen, alle von Parvin selbstgemacht. Es bleibt Zeit für Unterhaltungen und interkulturellen Austausch.

Weg mit den Hierarchien

Mit dem Märchenerzählen verfolgt die energiegeladene Sophia auch ein politisches Ziel. Sie fordert ein Umdenken: «Es kann doch nicht sein, dass wir im Misstrauen und in der Angst untergehen. Also für mich ist das keine Option.» Sie plädiert für mehr Menschlichkeit und weniger Angst voreinander – «Wir müssen zusammenkommen, wenn wir weiterleben wollen!» Sie möchte die Menschen dazu ermuntern, die Hände aufzuhalten für den kulturellen Reichtum, den Einwandererinnen und Einwanderer mitbringen und sich nicht zu verschliessen. Diese Haltungen verdeutlicht sie mit ihrer Körpersprache: einerseits mit nach oben geöffneten Handflächen und andererseits mit geballten Fäusten. Gesten, die sie auch am Erzählabend wieder verwenden wird.

Bild: Sophiedorothea Berger

Sophia Berger: «Es kann doch nicht sein, dass wir im Misstrauen und in der Angst untergehen.» Bild: Sina Fischer

Ein grosses Hindernis für das Zusammenkommen der Menschen sind für sie die bestehenden Hierarchien. Da Sophia, wie sie sagt, alles kopfvoran macht und ohne gross zu zaudern, hat sie sich kurzerhand entschlossen, den Direktor der Fremdenpolizei zu sich nach Hause einzuladen. Damit man die Dinge mal in einem anderen Rahmen besprechen könne: am Stubentisch. So komme die menschliche Ebene wieder mehr zum Zug. Der Direktor ist der Einladung zusammen mit seinem Stellvertreter gefolgt und hat mit Geflüchteten angestossen.
In ihrem rastlosen Engagement hat sich Sophia auch schon ein nächstes Projekt vorgenommen. «Ich spreche ja immer von kulturellem Austausch», deshalb will sie in einem nächsten Schritt mit Hilfe der Geflüchteten Schweizer Märchen in deren Sprachen übersetzen, natürlich mit dem Ziel, auch diese mehrsprachig vorzutragen.

 

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
1 Kommentar
beste Bewertung
neuste älteste
Inline Feedbacks
View all comments
FindiSuper
6. Juni 2017 12:36

?? Super Sach!