Artenerhaltende Massnahme oder Schiessfreude?

Jäger_Gewehr

Bild: Sam von Dach

13. März 2016

Von und

Wo man Hirsche erlegt und Rehen die letzte Ehre erweist. 
Wo man Frösche schützt, Fuchsfelle verkauft und Gewehre gewinnt.

Auffällig hoher Männeranteil. Tarngrün gekleidet. Stumpen oder Pfeife rauchend. Ab und zu ein Hut mit Feder dran. Reihenweise Fuchsfelle, mit der Schnauze nach oben an waagrechten Stangen aufgehängt. Ein Grizzlybärenfell am Boden ausgebreitet, der Kopf noch dran. Und dann die Waffen. Hölzerne Flinten und metallene Büchsen mit eingravierten Hasen und Hirschen. Trophäenausstellung Pelz- und Fellmarkt Thun.

Das ist nun also die Jägerszene. Im Saal des Hotels Freihof beginnt die Verlosung der Tombola. Hauptgewinn: eine Blaser Bockdrilling BD14 Kal. 20/76, 222 Rem., 7x65R. – ein Jagdgewehr im Wert von 6 481 Franken. Wer eine Büchse gewinnt und ID oder Pass dabei hat, kann sich im Nebenzimmer den Waffenschein ausstellen lassen und das Gewehr abholen.
Nummer Dreizehn gewinnt eine sechstägige Hirschjagd in Polen inklusive Übernachtungen und Jagdlizenz. Ein Kollege klopft dem Gewinner anerkennend auf die Schulter.

Die Gegner demonstrieren

«Was gibt es zu lachen, wenn Schüsse krachen?» Zweihundert Meter entfernt demonstrieren rund dreissig Tierschützende mit lautstarken Parolen gegen die Hobbyjagd, das Gesicht zu Fratzen geschminkt und mit Bildern von geschossenen Tieren in den Händen. «An der Trophäenausstellung tummeln sich Menschen, die das Töten von Tieren als Hobby verfolgen», informiert ein Mitglied von tier-im-fokus. Vordergründig werde dieses Hobby mit der biologischen Notwendigkeit gerechtfertigt, dass die Wildtierbestände reguliert werden müssten. «Dabei werden die Bestände durch Fütterung durch die Jagenden in den Wintermonaten künstlich in die Höhe getrieben, damit genügend Tiere für den Abschuss zur Verfügung stehen.» Ausserdem führe der erste Schuss nur selten zum direkten Tod des Tieres. Oft folge ein langer und brutaler Leidenskampf, bevor das Tier sterbe.

Ein Häschen fürs Kind

«Den geschossenen Rehen legt man zwei Tannzweige in den Mund, quasi als letztes Abendmahl», erzählt ein junger Büchsenmacher an seinem Waffenstand. Im Dorf reihe man die Tiere nebeneinander und die örtliche Blasmusik beehre die toten Tiere mit ein paar kurzen Stücken. Da gehe es noch um die Ehre des Tieres, nicht so, wie wenn man im Coop oder Migros ein Stück Fleisch kaufe. Ob Naturaplan oder Bio spiele dann auch keine Rolle mehr.

Der Verkäufer am Stand nebenan mit den aufgehängten Fellen berichtet, Fuchsfelle seien beliebt als Jackenkragen. Oft kämen ältere Damen, kauften zwei Fuchsfelle, die sie sich oder ihren Enkelkindern an den Mantel nähten. Ein Fuchsfell kostet je nach Zustand zwischen siebzig und hundertzwanzig Franken. Der Verkäufer geht selber nicht auf die Jagd. Aber der Stand am Pelz- und Fellmarkt habe für ihn Tradition. Seit acht Jahren verkauft er Hasenfelle aus der Hasenzucht seines Grossvaters und Fuchsfelle von befreundeten Jägern. «Kinder lieben Hasenfelle, weil diese so flauschig sind.» Die häufigsten Käufer seien Eltern, die ihren Kindern den Wunsch nicht abschlagen können, ein solches Kuschelfell mit nach Hause zu nehmen.

«Da geht es noch um 
die Ehre des Tieres, nicht so, wie wenn man im 
Coop oder Migros ein Stück Fleisch kauft.»

Auf einem kleinen Platz, die Aare weiter aufwärts, verfolgt eine Menge Grüngekleideter die Hundeshow. Verletztes Wild darf nie zurückgelassen werden, lautet eine der obersten Jagdregeln. Deshalb ist ein gut ausgebildeter Jagdhund unabdingbar. Wird ein Wildtier angeschossen, aber dabei nicht getötet, verfolgt der Hund das blutende Tier und führt die Jagenden zum verendenden Geschöpf. Gerade präsentiert der Moderator einen Apportierhund, einen Retriever, der es gar versteht, den verlorenen Autoschlüssel des Jägers zu seinem Herrchen zurückzubringen. Das Spektakel zieht neben den Jagdinteressierten auch schaulustige Passanten an.

«Jagen ist oft eine Familiensache», meint der junge Mann, der vor dem Hotel Freihof Tombola-Lose verkauft. Als Kind durfte er mit seinem Grossvater auf die Jagd. Das Draussensein hat ihn fasziniert, das Anschleichen, das Wissen über die Tiere. Deshalb entschied er sich dazu, selber Jäger zu werden. Jeden Dienstagabend besucht er nun den Theorieunterricht der einjährigen Ausbildung zum Jungjäger. Darin werden Jagdrecht, Jagdkunde, Naturkenntnisse, Jagdhundewesen, Vogel- und Wildkunde, Waffenkunde und Hege erlernt. An Samstagen wird die Theorie praktisch angewendet, da geht man auf die Pirsch, begleitet Jagdgänge und übt das Jagdschiessen. Der grösste Teil aber ist das Hegen. Fünfzig Hegestunden haben die Auszubildenden im Jahr zu leisten. Das bedeutet zum Beispiel Schilf mähen für den Lebensraum der Frösche, einen Amphibienzaun aufstellen, damit diese nicht auf die Strasse gelangen, Rehkitz-Rettungen und vieles mehr – Hauswartaufgaben in der Natur könnte man sagen.

Kein Hobby – eine Leidenschaft

Die Trophäenausstellung ist eine grosse Halle mit Wänden voller ausgetopfter Köpfe, Schädel und Geweihe. «Je mehr Enden desto besser», erklärt uns ein älterer Jäger. Enden nennt man die Verzweigungen eines Geweihs. Ein Hirsch kann in der Jägersprache zum Beispiel als Achtender oder Zehnender bezeichnet werden, je nach Anzahl seiner Geweihverzweigungen. Seit siebenundvierzig Jahren widme er seine Freizeit der Gämsejagd, fährt der Jäger fort. «Jagen ist kein Hobby. Es ist eine Leidenschaft.» Nur eine einzige Jagdsaison habe er in all den Jahren verpasst, damals, als er ins Militär musste. Manchmal gehe er mit auf eine Treibjagd. Bei einer Treibjagd sind Treiber und Hunde dabei, die das Wild von mehreren Seiten in die Flucht jagen. Entweder das Wild schafft es davonzukommen, oder aber es lässt sich auf der Flucht in die Nähe eines Jägers treiben und wird dann von diesem geschossen. Bevorzugen tue er aber den Ansitz. Da gehe er alleine, schlage irgendwo sein Zelt auf und warte, manchmal fünfzehn Stunden, bis ein Rotwild vorbeikomme. Die Ruhe, die Zeit zum Nachdenken, in der Natur zu sein – das möge er am Jagen.

Wandtrophäen

Ein Patent für zwei freigegebene Rehe ist für vierhundert Franken zu erwerben. Geweihe an einer Wand. Bild: Sam von Dach

Jäger und Kanton vs. Tierschutz und Naturwissenschaftler

«Schon pervers», nannte ein Tierschützer an der Demo das Hobby, das zum Ziel habe, Tiere zu töten. Der Kanton Bern sieht das anders. Jagen sei eine Notwendigkeit, um das Gleichgewicht unter den Wildtierarten zu erhalten. Ausserdem würden manche Wildtierarten in der Land- und Forstwirtschaft erheblichen Schaden anrichten. Im Kanton Bern geniesst die Jagd eine lange Tradition. Sogar die UNESCO-Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes würdigte die Trophäenausstellung Pelz- und Fellmarkt in Thun. 2012 nahm sie die Veranstaltung in die Liste lebendiger Traditionen des Kantons Bern auf. Im Kanton Bern wird die Patentjagd betrieben. Jagende können sich beim Jagdinspektorat Patente kaufen, die sie dann dazu berechtigen, eine definierte Anzahl einer bestimmten Tierart zu schiessen. Ein Patent für zwei freigegebene Rehe ist zum Beispiel für vierhundert Franken zu erwerben. Wer ein Tier schiesst, muss dies wiederum dem Jagdinspektorat melden. So behält dieses den Überblick, wie gross der Tierbestand noch ist und bestimmt anhand dessen die weiteren Tierfreigaben.

«Kinder lieben Hasenfelle, weil sie so flauschig sind»

Vor allem die Ausgleichsaufgabe ist eines der wichtigsten Argumente bei der Befürwortung des Jagens – aber auch das zwiespältigste. In der Vorlesung des Naturwissenschaftlers Josef Helmut Reichholf «Jagd reguliert nicht», die er 2013 an der Universität Basel hielt und die auf Youtube nachgeschaut werden kann, hinterfragt er unter anderem den Nutzen der Jagd für die Regulierung der Wildtierarten. Wenn überhaupt eine Regulierung durch das Jagen stattfände, dann wäre dies sicher keine im Sinne natürlicher Häufigkeitsverhältnisse, doziert er. Im Gegenteil, die Jagd schaffe vielmehr erhöhte und unterdrückte Tierartenbestände. Interessant ist zudem die Situation im Kanton Genf. Dort ist die Hobbyjagd seit über vierzig Jahren verboten. Und die Biodiversität sei heute massiv grösser als zu Zeiten, als noch gejagt wurde, so die Worte des kantonalen Genfer Faunainspektors auf Nachfrage des Radio SRF.

Wem soll man glauben, Kanton und Jäger oder Tierschützenden und Naturwissenschaftlern?

Was steckt hinter dem Argument der Jagd als artenerhaltende Massnahme? Trägt das Jagen konkret zur Verbesserung des Lebensraums für Wild und zum Schutz bedrohter Tierarten bei oder dient es lediglich als Legitimierung für das Ausüben eines Hobbys, welches zum Ziel hat, Tiere zu töten? Eine Antwort darauf ergibt dieser Nachmittag nicht. Nachvollziehbar ist die Faszination an der Natur und am Tier, das Beobachten, das Anschleichen, das Draussensein. Die Welt der Waffen und das Schiessen der Tiere bleiben für Aussenstehende befremdend.

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Schildkröte
9. Februar 2017 12:40

Samstag, 11.2.2017 Kundgebung gegen den abscheulichen Pelzmarkt in Thun.
Besammlung 13.00, Waisenhausplatz THUN.
Speziesismus bekämpfen, für eine herrschaftsfreie Welt!